Tristan
wollte.
Eines Morgens kam Rual zu ihm. Tristan war schon wach, aber er lag noch auf seiner Bettstatt. Rual setzte sich auf die Kante. Tristan sah gleich, dass sein Vater das lederne Wams trug und darunter das Kettenhemd. Er zog also in den Kampf.
»Tristan«, sagte Rual mit ruhiger Stimme und nahm die Hand des Jungen, »was mit Elbeth geschehen ist, das musste sein. Später wirst du das einmal verstehen. Jetzt krieche endlich aus deinem Versteck hervor. Ich muss für ein paar Tage fort. Es gibt Streitigkeiten an der Grenze. Du bist mein ältester Sohn, du musst mich vertreten, solange ich nicht auf der Burg bin. Du musst aufpassen, dass hier alles in Ordnung geht. Willst du mir diese Bitte erfüllen?«
Der Junge sah seinen Vater mit großen Augen an. »Müssen mir dann die anderen gehorchen?«, fragte er.
»Aber natürlich, genauso wie mir.« Rual lächelte und freute sich, denn es war das erste Mal seit Langem, dass Tristan wieder mit ihm sprach.
»Und wenn fremde Ritter kommen, soll ich sie dann empfangen und in den Raum mit den Büchern führen, wie du es immer tust?«
»Auch das.«
»Und den Wachen kann ich Befehle geben?«
»Wenn sie notwendig und gut überlegt sind - warum nicht?«
»Aber ich bin doch noch ein kleiner Junge, wie die Herrin sagt, sie werden mich auslachen.«
»Das werden sie nicht tun, wenn du ihnen dies hier zeigst.« Bei diesen Worten holte Rual etwas aus einem Lederbeutel hervor. Es war in ein Tuch eingewickelt und passte gerade in seine hohle Hand.
»Was ist das?« Vielleicht ein Zauberstein, dachte Tristan, mit übernatürlichen Kräften, weil vor vielen Hundert Jahren ein Spritzer Drachenblut darauf gefallen war. Elbeth hatte ihm erzählt, dass es so etwas gab. Doch wie erstaunt war er, als Rual das Tuch aufschlug und ihm eine goldene Kugel entgegenhielt.
»Nimm sie«, sagte Rual. »Diese Kugel gehörte einst Riwalin, dem König von Parmenien. Er starb, bevor du geboren wurdest. Wenn er eine Entscheidung treffen musste, hat er immer die Kugel in der Hand gehalten. Sie gab ihm Kraft. Und jetzt soll sie dir Kraft geben, solange ich weg bin. Pass gut auf sie auf! Sie darf nicht verloren gehen, hörst du?«
Die Macht der Kugel ~13~ Neue Kleider
Seit sein Vater ihm die goldene Kugel Riwalins anvertraut hatte, schien Tristan ein anderer geworden zu sein. Er sprach wieder mit seiner Mutter und erwähnte Elbeths Schicksal kein einziges Mal. Er wollte auch nicht mehr wissen, warum man sie aus der Burg gewiesen hatte, und behielt das Geheimnis der abgeschnittenen Zunge für sich. Tristan spielte wieder mit seinem jüngeren Bruder Edwin und übte den Schwertkampf. Er tat so, als sei nichts geschehen.
Die goldene Kugel verbarg er in einem Hohlraum in der Wand, an der sich seine Bettstatt befand. Er verdeckte die Öffnung mit einem Stück Holz, das er so mit Asche und Kalk bemalt hatte, dass es täuschend wie ein unverrückbarer Stein aussah. Lag er nachts in seinem Bett, nahm er die Kugel oft aus dem Versteck und hielt sie in der Hand. Sie schien noch mehr zu leuchten, und obwohl seine Hand noch klein war, passte die Kugel in sie hinein, als würde sie sich ihr anpassen und ihm schmeicheln wollen.
Tristan hatte Rual versprechen müssen, die Kugel nur zu gebrauchen und bei sich zu tragen, wenn es unbedingt nötig war. Ein derartiger Umstand war aber nur dann gegeben, sollte der Burg und ihren Bewohnern eine Gefahr drohen oder sich Gäste ankündigen, die eine besondere Beachtung verdienten. Doch seitdem Rual Conoêl mit einem Trupp Reiter verlassen hatte, war auf der Burg das alltägliche Leben friedlich weiterverlaufen. Nur einmal war ein Melder aus der Mannschaft Ruals eingetroffen und hatte einen weiteren Trupp Soldaten zur Unterstützung zusammengestellt. Keinen halben Tag später waren die acht Mannen aus dem Tor geritten, das daraufhin wieder fest verschlossen und mit doppelten Wachen versehen worden war, wie Rual es angeordnet hatte.
Tristan begann sich zu langweilen, bis er zwei Erlebnisse hatte, die er sich anfangs nicht zu erklären wusste. Das erste verspürte der Junge am eigenen Leibe: Eine Zeit lang, nachdem sein Vater fortgeritten war, taten Tristan, besonders in der Nacht, alle Glieder weh. Er beklagte sich deswegen bei Merla, und die Magd gab es an ihre Herrin weiter. Floräte erschien gegen Mittag in der Küche und staunte, als sie Tristan vor sich stehen sah.
»Du bist gewachsen«, sagte sie, »wie es scheint, über Nacht!«
Tristan folgte ihrem Blick, der
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