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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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daran, all diese amorphen Teile der Natur aufzulesen, und schenkte ihm sogar einige Blätter aus seinem Narratio-Heft, damit er das tote Gefieder, die residua der Flora, pressen, trocknen und aufbewahren konnte. Courvenal arrangierte sogar Umwege in Gebiete, von denen er wusste, dass dort besonders schöne Blumen, seltene Bäume und Farnbüsche wuchsen, damit sich Tristan damit beschäftigen konnte.
    Mit anderen Menschen sprachen sie während dieser Zeit kaum, begegneten nur einem Jäger und einmal einer Frau mit drei Waisenkindern, die klagte, dass sie auf der Flucht seien vor schrecklichen Rittern aus dem Frankenreich. Darauf änderte Courvenal sofort die Richtung und ritt mitten hinein in einen Wald, durch dessen Gebüsch und Unterholz er sich mit dem Schwert einen Weg bahnen musste. Er hieb dabei so auf die Pflanzen ein, dass es Tristan selbst wehtat. Hinter Courvenal herreitend glaubte er das Aufstöhnen und Schreien der Äste zu hören, die sein Lehrer abschlug.
    »Übertreibe es nicht mit deiner misericordia«, rief ihm Courvenal zu. »Wer nicht töten kann, wird auch nicht überleben. Wer überleben will, muss bereit sein zu töten.«
     
    Natura ~97~ Die Forelle
     
    So lernte Tristan auf seiner Reise als Erstes die Natur kennen. Da sie bislang nicht von ihr bedroht worden waren, es nur ab und zu regnete, sonst aber, je weiter sie ins Innere des Landes vordrangen, meist die Sonne schien, begann Tristan sich daran zu gewöhnen, dass diese natura, wie Courvenal sie nannte, ein demütiges Wesen besaß und voller Schönheit war. Je öfter er mit Neugier betrachtete, woran sie auf ihrem Weg vorbeikamen, oder auch einmal vom Pferd stieg und sich dem Anblick einzelner Pflanzen widmete, desto mehr bildete sich in seiner Vorstellung eine Welt ab, die aus farbenprächtigen Blüten und einem Reichtum an schillernden und sich auf jede nur denkbare Weise durch diese Welt bewegenden Kleintieren bestand. Tristan kam aus dem Staunen nicht heraus.
    Courvenal brachte ihm bei, Bachforellen mit der Hand zu fangen, indem man sie gewissermaßen am Bauch kitzelte und erst nach dieser Liebkosung fest zugriff und sie aus dem sprudelnden Wasser hob. Für Augenblicke noch glitzerte ihre Haut in den Farben des Regenbogens, Himmel und Erde schienen sich darin zu spiegeln. Tristan lachte vor Begeisterung wie ein kleines Kind. Dann begann der Fisch, den er fest in seinen Händen halten musste, anscheinend nach Luft zu schnappen, sodass Tristan mitfühlend selbst stoßweise seinen Mund öffnete und sich dabei, wie Courvenal mit ruhiger Stimme sagte, »wie ein Fisch im Wasser« benahm, während die Forelle, bestaunt und bewundert von dem Knaben, zu sterben begann. Sie schlug noch ein paarmal heftig mit der Schwanzflosse, klatschte damit gegen Tristans Ellenbogen, bis Courvenal ihm den Fisch aus den Händen nahm und ihn mit einem kurzen, heftigen Schlag gegen den Kopf tötete. »Was für eine schöne, fette Forelle du uns gefangen hast, die wird uns heute Abend vortrefflich schmecken«, sagte er, während ihn Tristan fassungslos anstarrte.
    »Du hast sie getötet!«, rief er entsetzt aus.
    »Du hast sie gefangen«, erwiderte Courvenal.
    »Doch nicht deswegen!«
    »Weswegen sonst?«
    »Weil sie so schön war.«
    »Das ist sie immer noch - bis sie in unserem Bauch landet.«
    Tristan wandte sich ab, er spürte, dass er hungrig wurde. Courvenal ging zum Waldrand und kam mit einer Handvoll Kräuter und Zweigen zurück. Dann schlitzte er den Bauch der Forelle auf, schabte die Innereien heraus und erklärte Tristan, dass man das tun müsse, weil das Fleisch sonst bitter schmeckte. Tristan versuchte, nicht zuzuhören. »Bei Hasen macht man das auch«, sagte Courvenal, »und wie man mir erzählt hat, bist du ein großer Hasenjäger. Wer ein Tier erlegt hat, muss es auch ausweiden können.«
    »Ich habe die Forelle nicht >erlegt< .«
    »Aber aus dem Wasser geholt.«
    »Aber nicht erschlagen.«
    »Aber ersticken und verdursten lassen.«
    Courvenal stopfte die Kräuter in den Bauch der Forelle und briet sie auf einem dünnen Eisenblech, das auch die Mägde auf Conoêl verwendeten. Er gab ein paar Tropfen einer grüngelblichen Flüssigkeit dazu und sagte: »Das ist Olivenöl.« Tristan wollte auch davon nichts wissen. Er weigerte sich, von der Forelle zu essen. Courvenal schmeckte sie suavissimus. Er schmatzte und leckte sich die Finger ab. Tristan saß auf dem Stamm eines umgestürzten Baumes, hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt, schien mit den

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