Tristan
händigte er den Dolch, das Schwert und eine Steinschleuder aus, außerdem einen Kamm aus Rindsknochen und einen Leibbeutel mit ein paar Münzen und einem Satz Würfel.
»Das ist alles, Herr, was ich bei ihm finden konnte«, sagte er dabei. »Herr« hatte er ihn bisher noch nie genannt, doch von nun an hatte er Angst vor seiner Unberechenbarkeit. Zugleich rechnete er sich aus, dass er die Hälfte von Cedrics Lohn erhalten würde. Kian kannte Cedric schon seit Langem, sie waren beide an der gälischen Küste in einer Ansiedlung aufgewachsen und vor Jahren zusammen nach Durham fortgegangen, einer größeren Siedlung im Osten der Insel. Dort waren sie in einer Schänke auf Beitin gestoßen. Beitin war ein schlauer Kopf, er hatte eine kurze Nase und einen breiten Schädel, weshalb er nie einen Helm trug, aber seine flinken Augen schienen alles zu entdecken, was für ihn günstig verlaufen könnte. Wer ihn brauchte und gut bezahlte, um einem Nachbarn hinterrücks einen dieser Dolche mit langer, dünner Klinge ins Herz zu stoßen, der konnte sich auf Beitin verlassen. Kian wusste nur, dass die Finger an seinen Händen nicht ausreichen würden, um damit zu prahlen, wie viel Feinde ihr Leben hatten lassen müssen. So lange er bei seinem Herrn diente und geheime Aufträge erfolgreich ausführte, war es ihm immer gut gegangen. Also machte er alles, was ihm befohlen wurde, gab dem Herrn Beitin, was er verlangte, und folgte ihm, wohin er auch ging.
Noch vor Sonnenaufgang brachen sie auf und ritten weiter nach Nordwesten. Cedrics Pferd samt Sattelzeug verkaufte Beitin für zwei schwedische Silbermünzen an einen Bauern, ein guter Preis, den er aber mit Kian nicht gerecht teilen wollte. Cedric hieb nur eine der Silbermünzen in der Mitte durch und gab Kian das kleinere Stück davon. Derwar höchst unzufrieden damit, weil dasnichts als Ärger bedeutete: Die Münze musste eingeschmolzen werden, um daraus Pfennige zu machen, und dabei musste man aufpassen, dass man von der Münzwerkstatt nicht betrogen wurde. Außerdem kostete dies Zeit. Beitin war auf das Geld nicht unbedingt angewiesen, Kian aber brauchte jeden noch so kleinen Silberling. Und die Orte, an denen Münzen geprägt wurden, mussten sie umreiten, immer dem Meer entgegen, wo in der Nähe von Heriaue ein Schiff auf sie wartete, um sie nach Irland zu bringen, direkt zu den Druiden der Königin Isolde.
Kian hatte die Königin noch nie zu Gesicht bekommen, nur davon gehört, wie unbeschreiblich schön sie sei. Es hieß auch, dass sie eine besondere Gabe hätte. Sie könne die Gedanken ihrer Untertanen lesen, erzählte man. Kian sprach Beitin während ihres Ritts zur Küste darauf an und verheimlichte auch nicht, dass die Königin dann ja ohne Weiteres erfahren könnte, was mit Cedric in Wahrheit geschehen war. Doch Beitin beschwichtigte ihn. »Man sagt, sie könne lediglich die Gedanken von netös und vlatis lesen, von Leuten, die sich selbst Gedanken machen. Du brauchst also keine Angst zu haben. Von dir wird sie nichts erfahren.«
»Warum nicht?«
»Weil du dir keine Gedanken machst.«
»Das verstehe ich nicht«, gab Kian zu.
»Dann denke nicht weiter darüber nach. Es nützt nichts.« Beitin, der Herr, trieb sein Pferd an, denn sie näherten sich bereits der Küste. Es regnete in Strömen, starke Winde wehten, und Kian fürchtete die Überfahrt nach Erui. Es war zwar schön, auf einem Boot zu sein, weil man seine Ruhe hatte, doch für die Pferde, dachte er, musste es furchtbar sein, schwankenden Boden unter den Hufen zu haben.
»Überlass das Denken einfach mir, und auch das Sprechen, hörst du?«
»Ja, ja«, sagte Kian nur und erinnerte sich mit einem Mal daran, was Cedric in den letzten Augenblicken seines Lebens gesagt hatte über die Brandschatzung an der Küste von Cornwall. Da war er ja dabei gewesen! Und auch Beitin! »Weißt du noch«, sagte er, neben seinem Herrn herreitend, »wie wir in Cornwall…«
»Ich weiß noch alles«, sagte Beitin mit ruhiger Stimme. »Aber du solltest es vergessen. Was gewesen ist, geht uns nichts mehr an.«
Kian dachte nicht nach. Es tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf. Er sah Cedric auf seinem Pferd durch die Siedlung reiten und mit seinem Schwert auf alles einschlagen, was ihm in den Weg kam. Kian war hinter ihm hergeritten. Dann stand plötzlich eine Frau da, die wohl aus ihrer Hütte herausgelaufen war, und hielt ihren Säugling hoch, flehte um Gnade, rief das Wort sogar auf Lateinisch, und in diesem Moment schlug
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