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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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ein riesiges wie platt gedrücktes Knäuel aus Stoffen, unter dem tatsächlich dem Anschein nach zwei Körper hätten liegen können, doch es waren nur die Formen ihrer Taschen und Beutel, die sich gegen die Tuchfetzen abbildeten. Tristan staunte, und Courvenal beruhigte sich.
    »Siehst du das?«, fragte er und legte seine Hand auf die Schulter des Jungen. »In der Dunkelheit der Nacht müssen diese gottlosen Kerle geglaubt haben, sie hätten uns erschlagen. Das ist gut so! Ich werde für sie beten, dass sie diesen einzigen Glauben, den sie haben - und den an ihr Blutgeld - nicht verlieren. Jetzt reiten sie wahrscheinlich trunken von ihrer Tat und ihrer Gier gen Nordwesten, um zu verkünden, dass sie ihren Auftrag erfüllt hätten, und ihre paar Heller einzusammeln. Und wir - wir sind tot. Und Tote sucht man nicht mehr. Das haben wir alles deiner Forelle zu verdanken.«
    »Meiner Forelle?«
    »Hättest du sie mit mir zusammen aufgegessen, hättest du wahrscheinlich genauso tief geschlafen wie ich. Aber wahrscheinlich hat dein Magen geknurrt, wie ich es dir prophezeit habe, und du bist aus dem Zelt gegangen, um deine Augen und Ohren nach draußen zu richten, und hast so unsere Übeltäter entdeckt.«
    »Wer waren die?«
    »Darüber lass uns später nachdenken, wir haben dazu noch Zeit genug. Jetzt müssen wir erst einmal in Erfahrung bringen, was von unseren Utensilien übrig geblieben und noch zu gebrauchen ist. Vorher aber«, Courvenal hielt Tristan, der schon einen Schritt auf das zerstörte Zelt zu machen wollte, an der Schulter zurück, »vorher möchte ich dir noch etwas versprechen: Auch ich werde von heute an nie wieder ein Tier essen, das ich noch lebend in meinen Händen gehalten habe. Da uns aber wie jeden Tag der Hunger quälen wird und wir noch eine Weile diesem Bach, der später zum Fluss wird, folgen müssen, wirst du die nächste Forelle mit deinem Speer aus dem Wasser holen. Ich zeige dir, wie das geht. Nun komm, lass uns nachschauen, was uns geblieben ist.«
    Das Ergebnis ihrer Untersuchung war ernüchternd. Die Fremden mussten mit solcher Wut und Blindheit auf die vermeintlichen Schläfer eingeschlagen und -gestochen haben, dass sie fast das gesamte Hab und Gut der beiden dabei zerstörten. Tristans Kleidersack war in viele Teile zerschnitten. Mit Courvenals Sachen verhielt es sich nicht anders. Er würde fortan immer nur dieselbe Kutte tragen müssen. Glücklicherweise war die Ledertasche mit seinen Heften unversehrt geblieben. Er hatte sie zusammen mit dem Münzbeutel ans Fußende seiner Lagerstatt gelegt und im Schlaf wohl noch von sich weggeschoben, hin zu dem Kästchen mit der saboon, in dem sich auch die goldene Kugel befand.
    Courvenal ließ sich nichts von seiner Erleichterung anmerken. Wie alles andere, das unversehrt geblieben war, legte er seine Sachen auf einen Haufen, dann begannen er und Tristan, aus den Stoffresten Beutel zusammenzuknüpfen, die sie wie Tragetaschen, die sich die Marktfrauen über die Schultern warfen, über den Rücken der Pferde legen konnten. »Die Pferde werden dankbar sein«, sagte Courvenal. »Sie müssen fast nur noch die Hälfte von ihrer früheren Last tragen.«
    Die schweren Zeltbahnen, das Gestänge, die Kleider, drei zerschlagene Tontöpfe, einer davon gefüllt mit Olivenöl - all das mussten sie zurücklassen. Tristan hatte inzwischen die Pferde geholt, die Courvenal über Nacht wohlweislich nie in der Nähe ihres Lagers festband. Ebenso hatte Tristan gelernt, dass sie ihre großen Waffen, Speer, Pfeile und Bögen, das Schwert und den größten Teil ihres getrockneten oder eingesalzenen probenda immer im Unterholz oder aufgehängt in Bäumen in der Nähe der Pferde versteckten.
    Zunächst sah er mit Unverständnis zu, wie der Mönch all die zerrissenen und zerstörten Dinge, die sie zurücklassen mussten, in eine flache Grube warf, die er mit seinem Dolch und der kleinen Eisenplatte zum Braten ausgehoben hatte. Als er schließlich alles mit Laub und Reisern abdeckte, aus dem Unterholz am Waldrand hervortrat und zufrieden auf den unscheinbaren Hügel blickte, den er aufgeworfen hatte, verstand Tristan die Absicht. Wenn er sich umblickte auf dem Platz, auf dem sie gelagert hatten, bemerkte er zwar niedergetretene Grasbüschel und abgeknickte Zweige an den Büschen, doch ein einziger Regenschauer würde all ihre Spuren verwischen und ein völlig unberührtes Bild von diesem Stückchen Erde hinterlassen. Niemand war hier jemals gewesen. Tristan

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