Triumph des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
weit detaillierter waren als die Straßenkarten. Sein Adjutant hatte dazu weitere Notizen gemacht, die ihm am nächsten Tag vermutlich helfen würden.
Wenn der Kerl nicht schon wieder in Trübsinn versank.
Klar, die Schlachtfelder um Verdun weckten unliebsame Erinnerungen. Wenn er auch nicht selbst in den Schützengräben gesteckt hatte – in Flandern waren es seine Einheiten gewesen, die in den zermürbenden Grabenkriegen aufgerieben worden waren.
Verfluchte Franzmänner und verfluchte Briten.
Und jetzt fuhren sie gemeinsam von Triumph zu Triumph.
Oberst von Braunlage betrachtete die Karte von Flandern, die Gegend von Ypern, voll Grimm. Dort hatten die Niederlagen begonnen, dort war er gescheitert.
Mehr als die militärische Niederlage schmerzte ihn noch immer, dass seine eigenen Leute sich ihm widersetzt hatten. Nicht nur Fußvolk, sondern auch Offiziere hatten gemeutert.
Seltsam – er erinnerte sich kaum mehr an die Gesichter seiner gefallenen Kameraden, wohl aber an einige der Soldaten. An einen äußerst renitenten Sanitäter, der strafversetzt worden war und der aus den schlammigen Gräben auch englische Verwundete geborgen hatte. Idiot, der. Und sein Kumpel, der ihn, den Oberst, angebrüllt hatte, dass auch diese Männer Menschen seien.
Feinde waren sie, nicht Menschen, verdammt.
Warum musste er nur gerade jetzt an diese Kerle denken?
Vielleicht, weil die beiden in der Nacht darauf desertiert waren? Meuterer! Vaterlandsverräter!
Weit waren sie vermutlich nicht gekommen. Sie hatten ja keine Möglichkeit gehabt, sich nach Deutschland durchzuschlagen. Die Franzmänner hätten ihnen sicher bald den Garaus gemacht.
Oder?
Die britische Frontlinie war nicht weit von ihnen verlaufen.
Irgendwas rumorte in seinem Hirn. Ein Name, ein Gesicht. Konnte das sein?
Hans … Hans Becker? Beckheim …?
Von Braunlage nahm die Teilnehmerliste zur Hand. Überflog sie. Und fand – Hans Beckhaus. Das war der Idiot, der ihn angebrüllt hatte. Ein Unteroffizier, unscheinbar, verdreckt, unrasiert. Jetzt fuhr er zusammen mit einem Engländer, vielleicht Schotten. Alasdair MacAlan.
Hatte er damals schon fraternisiert? War er womöglich ein Spion gewesen? War er gar noch immer einer?
Das musste geprüft werden. Unbedingt. Landesverrat, darauf stand die Todesstrafe!
Das Telefon läutete. Verflucht, wer wollte …? Ach ja, Paris!
Das Hotel Bristol meldete ihm, dass Madame von Braunlage sich zwar nicht in ihrem Zimmer aufhielt, aber bis Donnerstag zu bleiben gedachte, um am Nachmittag den Zug nach Köln zu nehmen.
Perdu – damit war sein restliches Geld perdu. Ausgegeben für Parfüms und Seidenfummel, Hemdhöschen und Stiefelchen.
Scheiße!
ZWEITE ETAPPE:
GRENZE – KÖLN
21. EXTRA-ARBEET
Ick will dir mal wat sagen
von ’nem alten Wagen:
Wenn der keene Räder hat,
kann der nich mehr fahren.
Berliner Spruch
D ie Berliner Automobil Zeitung wies bereits etliche Eselsohren und schwärzliche Ölflecken auf, und jetzt fielen auch noch Brotkrümel auf die Seiten. Fritz, nicht eben gewandt im Lesen, ackerte sich durch die Artikel, wobei sein Zeigefinger sich die Zeilen entlangbewegte und seine Lippen lautlos die Wörter formten, die er entzifferte.
Es ging jedoch von Tag zu Tag besser, das mit dem Lesen.
Es war ja so spannend, was da stand. Über den Weg, den das Erdöl von seiner Lagerstätte bis hin zu den Tankstellen nahm, beispielsweise. Davon hatte der Ölbaron Tilmann berichtet. Oder über die Reifen, die aus dem Saft der Gummibäume hergestellt wurden. Oder die Möglichkeiten, diesen Kautschuk künstlich herzustellen. Davon hatte ein Herr Thalheimer geschrieben. Und über die Ford-Modelle, die man jetzt auch in Berlin am Fließband fertigen würde und die zu erschwinglichen Preisen verkauft wurden. Das alles hatte Fritz gar nicht gewusst. Zukünftig würde er sich viel mehr mit diesen Dingen beschäftigen. Es ging ja nicht nur darum, verbeultes Blech wieder gerade zu biegen oder Schmieröl in die Lager zu füllen. Man musste auch etwas über das Drum herum wissen.
Dass der Erwerb von Wissen eine aufregende Sache sein konnte, war neu für ihn.
So vertieft war er in die Zeitschrift, dass er gar nicht bemerkte, wie Molle ihm mit spitzer Kralle heimlich die Wurst von seiner Stulle stahl. Erst als er den nächsten Bissen nahm, stellte er den Mundraub fest.
Molle, neben ihm, sah ihn unschuldig an und leckte sich die Pfote.
»Diebstahl, jemeiner Diebstahl war det!«, grummelte Fritz, musste aber lächeln,
Weitere Kostenlose Bücher