Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
schnellen Lauf ungeeignet ist.«
»Oh nein«, warf einer der Soldaten freundlich ein. »Das ist ein Irrtum. Nur ihr aus dem Norden glaubt, ein Kamel sei langsam. Wisse jedoch, junger Magier, dass ein Rennkamel spielend jedes Pferd abhängt!«
»Völlig richtig«, bestätigte Wasab. »Beim letzten Großen Preis von Dachrian, der auf Geheiß des Großwesirs und König Marcels seit nunmehr dreißig Jahren durchgeführt wird, hat das Kamel Akhsoguds alle Pferde hinter sich gelassen und ist mit anderthalb Tagen Vorsprung als Erster durchs Ziel gegangen!«
»Gemütlich und bedächtig stapfen die Kamele durch den warmen Sand der Wüste. Nur die Menschen aus dem Norden halten das Kamel für ein plumpes Tier, das für den schnellen Lauf ungeeignet ist …«
Die Samarschaner nickten ihm aufmunternd zu.
»Dabei taugt so ein Kamel besser als jedes andere Tier fürs Wüstenleben.« Dieser Satz gefiel Trix zwar gar nicht, doch er brauchte ihn als Übergang.
»Sicher, das Kamel fühlt sich in der Wüste wohl«, mischte sich nun Wasabs Neffe ein. »Aber ein Skorpion ist wesentlich wüstentauglicher!«
»Ein Skorpion ist kein Tier!«, rief Trix aus.
»Was denn sonst?«
»Ein Insekt!«
»Sind Insekten etwa keine Tiere?«, konterte der Neffe.
»Trix wird höhere Tiere im Sinn haben«, vermittelte Wasab. »Ich persönlich würde in dem Fall aber auf den Fennek setzen.«
»Auf wen?«, fragte Trix perplex.
»Auf den Fennek. Das ist ein ganz kleiner Fuchs. Der braucht überhaupt kein Wasser, dem reicht eine Schnecke oder etwas Gras. Er schwitzt nicht und hat sehr große Ohren.«
»Was spielen die Ohren hier für eine Rolle?«, wollte Trix wissen.
»Komische Frage! Die spenden ihm Schatten!«
»Allmählich schwant mir, warum die Magie in Eurem Land derart unterentwickelt ist.«
»Ach ja?«, erwiderte Wasab. »Und warum?«
Darauf antwortete Trix nicht. Es verstrich eine halbe Minute, in der niemand ein Wort hervorbrachte.
»Ich bitte darum, meinen Zauberspruch nicht zu kommentieren«, sagte Trix schließlich. »Hört aufmerksam zu, dann werden wir sehr schnell nach Dachrian gelangen.«
Die Samarschaner nickten.
»Bei einer Reise gibt es nichts Zäheres als die letzten Tage auf dem Weg nach Haus«, setzte Trix völlig neu an. »Alle Abenteuer liegen bereits hinter einem, alle Einkäufe sind erledigt, alle Geschichten erzählt. Die Menschen haben nur einen Wunsch, nämlich ihre Familien wiederzusehen, während die Kamele sich endlich satt trinken und essen wollen. Alle denken nur an kaltes, frisches, klares Wasser, an heißes, schmackhaftes, lockeres Pilaw, an saftiges, aromatisches, süßes Gras.«
Trix’ Kamel wandte ihm den Kopf zu und beäugte ihn misstrauisch.
»All das ist zum Greifen nah, all das wartet in Dachrian. Wenn man diese prachtvolle Stadt doch nur schneller erreichen könnte! Doch der Gedanke an all die Köstlichkeiten treibt die Kamele besser an als jeder Stock. Sie beschleunigen ihren Schritt! Niemand hätte je gedacht, dass Kamele so schnell und so ausdauernd zu laufen vermögen, dass sie, ohne anzuhalten, bis zum Haus des verehrten Kaufmanns Wasab Kurkum preschen.«
Die Kamele beschleunigten in der Tat ihren Schritt, ja, es wäre nicht gelogen zu behaupten, dass sie ordentlich trabten.
»Wann kommen wir zwei wohl Dachrian entgegen?«, fragte einer der Soldaten seinen Gefährten. »Bei Sonne und Glut oder bei Regen?«
»Wenn dieser Wirrkopf stille schweigt«, antwortete dieser und schielte auf Trix.
»Als ob das noch ist, eh der Tag sich neigt.«
Als Trix diese Worte hörte, meinte er, es wehe ihn etwas aus weiter Ferne an, das wie durch ein Wunder in das Wüstenland gelangt war. Ein mächtiger Magier schien ihm einen nie gehörten Zauberspruch vorzumurmeln.
»He, Karawane!«, rief Trix. »He, Kamele, ihr schwankenden Gestalten! Welch trübem Blick habt ihr früh euch einst gezeigt? Ich nehme an, ihr konntet euch nur in einem Land, dem Scherze unbekannt, entfalten. In einem Land, wo die Dünen blühn und die karge Wüste sich hat breitgemacht. Und du, Kamel, tramplig erscheinst du zur Genüge, niemand verlangt von dir: schweb hin, Kamel du, auf geschupptem Flügel; stapfst unverdrossen auf schwielgem Fuße! Du trägst nicht davon einen Reiter in Samt aus Dillon, wer zwischen deinen Höckern thront in Bart und Burnus, dich mit Vierzeilern belohnt. Und das Kamel, der alte Gesell, hebt die Beine und sputet sich schnell. Der Sand erbebt, die Wüste lebt, der Fennek hört: ›Ich bin allda!‹, und
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