Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
Vergnügens willen töteten und ob Marcel eine Akademie unterhielte, in der er, Hadron, arbeiten könne. Obwohl Trix sämtliche Befürchtungen zu zerstreuen versuchte, schüttelte Hadron nur den Kopf, seufzte schwer, kratzte sich den Nacken – und erging sich weiter in seinen Rückkehrplänen.
»Was für ein seltsamer Mann«, urteilte Ian, als sie endlich im Bett lagen. Für ihn waren eine mit Stroh gestopfte Matratze und eine Decke in Trix’ Zimmer gebracht worden. »Wenn es ihm so gut gefällt, warum will er dann nach Hause? Wenn es ihm aber nicht gefällt, warum geht er nicht einfach zurück?«
»Er lebt schon zu lange hier«, erklärte Annette, die auf einem Kerzenständer saß. Die Flammen spiegelten sich in ihren Augen. »Die Not hat ihn nach Samarschan gebracht. Er brauchte lange, um sich hier einzurichten. Kehrt er jetzt zurück, wird es heißen, er hätte fünfzehn Jahre seines Lebens verschwendet.«
»Und?«, fragte Trix. »Hat er das?«
»Was für ein dummer Junge du bist«, kicherte die Fee. »Denk an einen Mann und eine Frau, die sich trennen, nachdem sie lange zusammengelebt haben. Sie finden eine neue Liebe und sind glücklich. Aber ständig halten sie sich vor: ›Die besten Jahre meines Lebens habe ich vergeudet!‹ Ist das nicht komisch? Schließlich waren es gute Jahre. Es war ihr Leben. Wer könnte beschwören, dass sie mit einem anderen Menschen glücklicher gewesen wären? Man kann sich trennen und man kann wieder zueinander finden. Man kann weggehen und man kann zurückkehren. Da ist nichts dabei. Nur wer ständig über vertane Jahre jammert, der verschwendet sein Leben. Denn wie immer dein Leben aussieht, es ist nie vertan. Das gilt für jeden Menschen …«, Annette seufzte, »… und auch für jede Fee.«
»Für mich kommt so ein Hin und Her nicht in Frage«, verkündete Trix stolz. »Ich werde Tiana heiraten und mich nie von ihr trennen. Ich werde nicht an einem Ort leben, den ich nicht mag. Und ich werde von Anfang an die richtigen Entscheidungen treffen.«
»Genau wie ich!«, beteuerte Ian. »Gut, ich habe nicht gleich gewusst, was ich werden möchte. Die Zauberei hätte mir auch gefallen, nur bin ich dafür nicht begabt. Aber jetzt ist alles klar: Ich bin zum Ritter berufen! Vor allem weil ich inzwischen ja fast ein richtiger Adliger bin!«
»Vielleicht gelingt euch das tatsächlich«, erwiderte Annette lächelnd. »Es würde mich freuen, wenn bei euch alles im Leben auf Anhieb klappt. Löschen wir das Licht?«
»Mhm«, brummte Trix. »Wo willst du schlafen?«
»Auf mich wartet der Mond«, sagte Annette. »Ich werde noch ein wenig in seinem Licht tanzen. Außerdem will ich auf die Suche nach den hiesigen Feen gehen. Das ist doch wirklich merkwürdig! Überall blühen Blumen – aber nirgends ist eine Fee zu entdecken! Gute Nacht, ihr beiden!«
Sie schlug ein paar Mal mit den Flügeln, löschte die Kerze und flog zum Fenster hinaus.
»So geht das nicht weiter«, murmelte Trix. »Diese Samarschaner Blumen … die sind einfach zu stark für sie.«
»Trix!«, rief Ian vom Boden aus.
»Ja?«
»Mach dir keine Sorgen um den Ring. Ich werde ihn ganz bestimmt zurückbekommen. Ich weiß sogar schon, wie.«
»Ach der!«, erwiderte Trix gähnend. »Ich vollbringe einfach noch eine Heldentat, dann schenkt Marcel mir einen neuen.«
»Nein, ich werde ihn wiederbesorgen. Um jeden Preis! Immerhin bin ich ein edler Mann, fast schon ein Ritter. Und ein Ritter darf Böses nicht ungestraft lassen, ist es nicht so?«
Aber da schlief Trix schon.
Es hatten sich in der Tat viele Drachen in Dachrian eingefunden, vermutlich alle, die es in Samarschan gab – und ihre Zahl war in diesem Land höher als irgendwo sonst.
Trix und Ian standen mit weit aufgesperrten Mündern auf der Stadtmauer und blickten in die Tiefe. Auf der einstigen Weide stapften, schliefen (mit dem Kopf unterm Flügel), palaverten und glotzten (hoch zu den Menschen) Drachen. Sie zeigten alle Farben des Regenbogens, ja, sogar ein paar mehr: Rot und Orange, Gelb und Grün, helles und dunkles Blau, Violett und Weiß. Etwas abseits standen einige schwarze, die größten und stolzesten Tiere. Die Jungdrachen überraschten mit einer recht bizarren Farbgebung, beispielsweise einem blauen Schwanz, einem roten Körper und einem weißen Kopf.
Auf der Mauer drängelte sich reichlich Volk. Die Städter wollten unbedingt einen Blick auf die Drachen werfen – und zwar vorzugsweise aus sicherer Entfernung. Weil das Naturell der
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