Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
Aufschrei.
Die Nomaden heulten auf vor Angst, den Blick gebannt auf den Mineralisierten Propheten gerichtet.
Abrakadasab selbst drehte bloß den Kopf und sah Trix beleidigt an. »Und ich habe mit dir mitgelitten in diesem Stück«, sagte er bitter – ehe in seinen Augen Wut aufglomm. »Der niederträchtige Junge, dieser täppische Zauberlehrling, der das Gesetz der Gastfreundschaft und der Gerechtigkeit gebrochen hat, soll sich nach meinem Willen regen und ins Herz der Hölle eingehen!«
Abermals hüllte Abrakadasab das blaue Licht ein.
Während die Welt um Trix sich trübte.
Seit der Mensch an eine Höchste Gottheit glaubt, die den Himmel, die Sterne, die feste Erde, Menschen, Tiere und überhaupt alles bis auf den Sinn für Humor erschaffen hat, seit der Mensch also an jene höchste Gottheit glaubt, die es von Anbeginn der Zeiten gab und immer geben würde, lebt in ihm, dem Menschen, der Wunsch, in seinem letzten Stündlein nicht den Tod zu finden, sondern eine Reise in eine andere Welt anzutreten, die ihn in die Nähe ebendieser Höchsten Gottheit bringt.
(Manch einer geht gar davon aus, es habe zunächst dieser Wunsch bestanden, der dann die Menschen dazu gebracht hatte, an einen Höchsten und Allmächtigen zu glauben.)
Da zudem jeder Mensch fest daran glaubt, sich der Liebe der Höchsten Gottheit zu erfreuen, während sein Nachbar, der zwei Teppiche und ein Paar Hosen mehr besitzt (meisterlich mit dem Schwert kämpft, bei Festen lustige Liedlein darbringt oder mit einer schönen Frau verheiratet ist), ein durch und durch gemeiner Kerl ist, haben die Menschen ferner angefangen, sich dieses glückliche Leben nach dem Tod auszumalen. Schließlich konnte es doch nicht angehen, dass man diesem Nichtsnutz wiederbegegnet, der einem bereits im ersten Leben alle Freude durch seine bloße Existenz vergällt hat!
Sehr schnell war die einzig denkbare Erklärung zur Hand: Die Höchste Gottheit schickt in ihrer Weisheit die einen Menschen nach dem Tod an einen angenehmen Ort namens Paradies, wohingegen sie die anderen höchst unwirtlichen Bedingungen aussetzt, die der Einfachheit halber unter der Bezeichnung Hölle zusammengefasst werden. (Woraus im Übrigen ersichtlich ist, was für schlechte Menschen Vitamanten sind, denn nur wer weiß, dass die Hölle, nicht das Paradies auf einen wartet, will dem Tod ein Schnippchen schlagen.)
Angesichts seiner jungen Jahre hatte Trix über dieses Thema bisher nicht sehr häufig nachgedacht. Im Allgemeinen hieß er die Theorie vom Leben nach dem Tod jedoch gut, hielt sie für klug, vernünftig und zutreffend. Deshalb wollte er sich nun, als er das Bewusstsein wiedererlangte, erst einmal mit geschlossenen Augen darüber klar werden, was ihn erwartete.
Unter der Hölle versteht ja jeder etwas anderes. Doch alle Menschen stimmen darin überein, dass man aus ihr nicht entkommt, sich abplagen und allerlei Unangenehmes ertragen muss. Die Barbaren aus dem Norden gehen fest davon aus, in der Hölle müssten die feigen Krieger den kühnen Helden dienen, ferner Schnee fegen, Holz fällen, Stollen und Kanäle ausheben, das alles obendrein nackt und barfuß, hungrig und in Frost und Finsternis. Die Samarschaner glauben, die tugendlosen Menschen, welche die Höchste Gottheit nicht geehrt hatten, müssten in der Hölle den Tugendhaften dienen, ferner Sand fegen, Dung kneten, Stollen und Kanäle ausheben, das alles obendrein nackt und barfuß, durstig und in sengender Sonne. Weder die nördliche noch die südliche Variante lockte Trix. Im Königreich selbst gingen die Meinungen in dieser Frage auseinander, zudem hielt es jeder Mystiker für seine Pflicht, ein neues Konzept vorzustellen. Einige schwelgten in Beschreibungen von riesigen Kochtöpfen und Pfannen, in denen die Sünder gegart und gebraten würden, bevor sie zur Abkühlung in Eiswüsten geworfen würden, damit sich rechtschaffene Menschen an ihrem Anblick laben konnten. Maßvollere Gemüter glaubten, die Sünder müssten Schnee und Sand fegen, und zwar unter Bedingungen wie gehabt. Die sanftesten und gütigsten Köpfe versicherten, die Sünder hätten keine körperlichen Qualen zu erleiden, schlicht aus dem Grund, weil ihnen der Körper fehlte. Dafür müssten sie grausame seelische Martern leiden, die darin bestünden, dass die Höchste Gottheit niemals das Wort an sie richtet.
Trix, der Hitze nicht sehr und Kälte überhaupt nicht mochte, gab dieser letzten Variante den Vorzug. Hoffnungsvoll öffnete er die Augen.
Das, was er
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