Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
hob an: »Das Gespenst des qualvollen Dursttodes weicht vor dem jungen Zauberer zurück. Wasser ist jener Stoff, den es überall gibt. Wasser ist jener Stoff, den ein Zauberer jederzeit zu schaffen vermag. Und so ergießt sich in den gierig geöffneten Mund des Jünglings reines, wohlschmeckendes, süßes, erfrischendes Wasser …«
Zunächst geschah nichts. Irgendwann fiel ein einziger Tropfen auf seine Zunge. Im Mondlicht schwoll ein weiterer sandkorngroßer, funkelnder Tropfen an, gewann an Größe, schaukelte in der Luft – und fiel nach unten.
Trix schloss den Mund.
So würde er sich nie satt trinken.
Hier, mitten im Herzen der Hölle, fand sich nirgends Wasser. Weder im Boden noch in der Luft. Er als Zauberer konnte jedoch nur etwas bereits Vorhandenes umzaubern.
Trotz allem versuchte Trix, ruhig Blut zu bewahren. Gut, er sah sich außerstande, schnell zu rennen oder sich Nahrung und Wasser zu verschaffen. Dann musste er eben von hier verschwinden! Aber wie? Ganz einfach: auf die gleiche Weise, auf die er hierhergekommen war. Im Grunde hatte Abrakadasab doch lediglich einen Teleportationszauber gegen ihn angewendet. Der weise Radion Sauerampfer hätte nur einmal mit den Fingern zu schnippen brauchen – und schon befände er sich an einem anderen Ort. Was hinderte ihn, Trix, daran, es genauso zu machen? Zugegeben, bisher war er stets gescheitert. Aber bisher hatte für eine Teleportation auch keine zwingende Notwendigkeit bestanden. Wenn er jetzt aber nicht auf diese Fortbewegungsform zurückgriff, dann würde er bereits morgen verdurstet sein.
»Es wird klappen!«, spornte sich Trix an. Genauer gesagt, er versuchte es. Denn das Einzige, was er herausbrachte, war ein: »Ei pappen!« Während er nämlich mit offenem Mund dagesessen hatte, um die beiden Tropfen aufzufangen, war seine Kehle derart ausgetrocknet, dass er kein vernünftiges Wort mehr herausbrachte.
Und nun fiel Trix in Panik. Er schluckte wiederholt, damit sich in seinem Mund Speichel sammelte und er die Redegabe zurückgewann. Diesmal klappte es noch – aber in ein paar Stunden wäre er heiser. Und was sollte ein heiserer Zauberer ausrichten? Nur die stärksten und weisesten Magier konnten Zauber wirken, indem sie den Spruch lediglich dachten.
Trix konzentrierte sich und rief sich alle Ausführungen Sauerampfers in Erinnerung: Er musste den Ort kennen, an den er wollte. Oder zumindest ein Objekt an diesem Ort, ein Haus, einen Baum, einen Menschen …
Einen Menschen.
Sofort tauchte Tiana vor Trix’ innerem Auge auf.
Wenn er sich doch nur zu ihr teleportieren könnte! Wenn er jetzt im kalten, verschneiten Dillon wäre! Um ihr von seinen Abenteuern zu erzählen – und sie um etwas Wasser zu bitten.
Trix sah Tiana in aller Deutlichkeit vor sich: ihr helles, weiches Haar, die gütigen, blauen Augen, die zarte, matt schimmernde Haut, die schlanke Figur, die aparten Hände … und alles andere, das sich ein wohlerzogener Jüngling, der das erste Mal verliebt war, vorstellen durfte. Das Herz hämmerte ihm in der Brust, die Seele barst ihm vor Überzeugung.
Ja, er würde es schaffen!
Es würde ihm gelingen!
Trix breitete die Arme aus und vergegenwärtigte sich die Gesetze der Teleportation. Der Körper eines Menschen besteht aus kleinen Teilchen, die ihrerseits aus noch winzigeren Teilchen bestehen, die … All diese Teilchen müssen sich dem Willen des Magiers fügen, mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch den Raum gleiten und sich am Zielort wieder zusammensetzen. Genau so funktionierte Teleportation (sämtliche äußerlichen Effekte ließen sich Magier nur einfallen, damit es beeindruckender aussah).
»Tiana«, wisperte Trix und wünschte sich von ganzem Herzen, inständig und unbändig, an ihre Seite.
Er wunderte sich nicht einmal, als seine Hände die magische blaue Flamme umspielte.
Er wunderte sich erst im nächsten Moment – als vor ihm ein in ein bodenlanges Nachthemd gewandetes, schlafendes Mädchen im Sand auftauchte.
»Neeeiiin!«, schrie Trix entsetzt. »Was habe ich jetzt schon wieder angerichtet?!«
Tiana, die durch seinen Zauber aus den weichen Federn ihres behaglichen, fürstlichen Schlafgemachs in den pikenden, rauen Wüstensand befördert worden war, wachte unverzüglich auf und erhob sich. Ohne auch nur zu begreifen, wo sie war und wer vor ihr stand, stürzte sie sich auf Trix und trat ihm gegen die Stirn. Der bemitleidenswerte Kopf des jungen Zauberers flog nach hinten, der Magier schlug gegen eine Steinwand
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