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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Kinder.
    Spielzeug für graue räudige Wölfe. Männer zum Speeren und Kehlen, Zerschlitzen, Zerhacken. Frauen, von den Wölfen geteilt und besprungen und wieder besprungen und zerteilt. Kinder, lächelnde Braten, singende Bälle, die nicht richtig von den Wänden zurückprallen.
    All dies mußte vergehen. Das bloße Dasein der Stadt und ihrer Bewohner, die Betten und das Gold, all dies verhöhnte die räudigen grindigen Wölfe tief unten im Tartaros; Hohn, der nur in Blut erstickt und in Brand geläutert werden konnte.
    Die Wölfe? Die Männer aus den achaischen Landen? Sie wollten kein Feuer, kein Morden mehr, sie wollten heimfahren. Aber wir, die Fürsten, die sie in diesen Krieg getrieben hatten, in die Schlachten gepeitscht, bis das Menschenfleisch von den Wolfsseelen fiel – wir, die Fürsten, wir wissen, daß die Männer froh heimfahren und danach, je länger die Reihe der Jahre wird, dumpfer und mürrischer und grimmiger werden. Heute sagen sie nur, es soll ein Ende sein, laßt uns heimkehren zu Frau und Kindern und Eltern und Herd und Bett. Morgen werden sie sagen, wenn wir denn schon ausgefahren sind, warum kamen wir mit leeren Händen heim? Übermorgen werden sie rufen, leere Hände und sieglos und wozu die herrlichen Kämpfe? Am Tag danach wird es ein Schrei sein: sieglos, beutelos, ehrlos, alles vergeblich und sinnlos, wozu dann nicht auch fürstenlos und leblos? Die Männer, die furchtlosen tapferen geliebten Krieger, wollten heimkehren, ehrenhaft und ohne Sieg. Odysseus aber, der nicht in den Krieg hatte ziehen wollen, begriff, daß er ihn zum bitteren Bodensatz trinken mußte, bis dorthin, wo tief unten im Becher nur Gebeine und Grauen bleiben.
    Und Ehrlosigkeit. Damit die Männer, die gestorben sind, nicht sinnlos gestorben seien; damit die Lebenden ehrenhaft, ruhmvoll, siegreich und beutebeladen heimkehren. Es war eine Notwendigkeit, auch für die Fürsten – was, wenn die Daheimgebliebenen sieglose Hungrige begrüßen müssen und dann sagen, ihr, die ihr dort nichts zustande gebracht habt außer dem Verlust der Blüte all unserer Männer – ihr werdet hinfort auch hier nichts mehr zustande bringen? In euren Betten liegen andere Männer bei Frauen, die nicht mehr die euren sind und den Kinder beibringen, die Väter zu vergessen. Den Pflug, den du geschmiedet hast, lenkt die Hand eines anderen, und den Fürstenthron, der dein Stolz war, wärmt sein abscheuliches fremdes Gesäß.
    Darum. Und für die Männer. Wenn sie mit Gold heimkehren, werden sie vom Entsetzen nur die Pracht im Gedächtnis bewahren. Und Männer, die nicht mehr kämpfen wollen, zum letzten und schlimmsten Gemetzel zu führen, ist eine Kunst, die Odysseus versteht.
    Ehrlosigkeit, sagte ich. Es kann die Götter nicht geben, sonst hätten sie nicht zugelassen, daß all dies geschah. Nicht Mord und Brand und Schinden und Schändung – das ist der liebste Zeitvertreib der Götter und Menschen. Keine Schuld auf dem Haupte dessen, der kämpft und tötet; Preis dem siegreichen ehrenhaften Krieger. Aber sie werden mich auf dies Feuerrad binden lassen; wenn nicht die Götter, so die Erinnyen, die grausamen Geister der grausam Verratenen.
    Damit die Krieger, die Wölfe, beutebeladen und ehrenvoll heimkehren und in der Heimat wieder von Wölfen zu Menschen werden konnten, mußte Odysseus den letzten Fetzen Mensch ausziehen, ganz Wolf werden. Achilleus war ein kranker Knabe; es gab nur ein wirkliches Ungeheuer im Heer.
    Ah, ihr Freundlichen wißt es noch immer nicht? Warum die Nattern und das Feuerrad? Weil Odysseus das höchste Ziel nicht in offenem Kampf erreicht hat, sondern durch ehrlose Tücke. Dies aber, ihr Holden, ist das Vorrecht der Götter. Deshalb sind sie unsterblich und mächtig. Menschen mögen grausam sein, morden und metzeln und quälen, einzelne oder auch viele in die Unterwelt schicken. Immer, selbst in der schwärzesten Niedertracht, gibt es Erhabenes – ein Wort, eine Gebärde, eine kühne Tat. Aber Odysseus…
    Er mußte, damit seine Brüder ehrenhaft weiterleben und heimkehren konnten, listig ein Volk entwaffnen, ein ganzes Volk durch Tücke vernichten. Das steht einem Menschen nicht zu; es ist das Hauptvergnügen der Götter, Menschen zu Tausenden zu schinden, und Odysseus hat sich angemaßt, zu tun, was nur die Götter dürfen. Da er aber kein Gott werden konnte – es gibt keine Götter; wenn es sie je gab, sind sie alle in Troja gestorben –, da er kein Gott werden konnte und kein Mensch bleiben durfte, wurde er

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