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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Kopf. »Und du selbst hast den Zugang zu Ämtern so geregelt… Wäre es nicht besser, auch die hohen Ämter für jeden, der dafür taugt, zu öffnen? Und ihn zu bezahlen?«
    Solon knurrte nur; Polykles schaukelte auf seinem Schemel vor und zurück, bis ein wenig Wein aus dem Becher schwappte.
    »Entsetzliche Vorstellung«, sagte er. »Er würde versuchen, in dem einen Amtsjahr soviel wie möglich zu verdienen, statt für das Gemeinwohl zu arbeiten. Er wäre bestechlich – wahrscheinlich. Nur einer, der reich genug ist, um in diesem Jahr keinen Gedanken auf sein eigenes Wohl verschwenden zu müssen, kann sinnvoll mit Macht umgehen. Wenn überhaupt; wie wir alle wissen, waren die meisten Archonten trotz ihres Wohlstands unfähig. Oder beeinflußbar.«
    Endlich gelang es dem Sklaven, Feuer zu machen; fast gleichzeitig brach die Sonne durch den Dunst. Baiton klatschte.
    »Ah. Die Rosse des Helios äpfeln!«
    Elphenor stöhnte. »Und wenn jetzt einer etwas von der rosenfingrigen Eos erzählt, kreische ich.« Er leerte den Becher, winkte dem Sklaven und bewegte den Hintern auf seinem Strohsack, als ob er lästiges Getier durch Aufsitzen verringern wollte. »Ich kann diese Wendungen nicht mehr hören.«
    »Du da, auf deinem erhabenen Pfühl«, sagte Laogoras mit einem Kieksen in der Kehle, »laß nicht dem Gehege deiner Zähne solch flügellahme Worte entfleuchen. Das ist nun mal so, unter uns Achaiern – seit die edlen Herren, die wir in Ämter wählen, statt sie umzubringen, also, seit die mal beschlossen haben, daß dieser blinde, wahrscheinlich taube und sicher heisere Sänger die anderen Götter ersetzt, weil er uns ihr schlechtes Benehmen näherbringt, ist das eben einfach so. Du wirst dich damit abfinden müssen; oder spring aus dem hohlen schwarzbäuchigen Schiff ins weinfarbene Dings.«
    »Spottet nicht.« Solon klang so ernst, daß Polykles und Elphenor die Gesichter verzogen, wie bei einer schmerzhaften Störung. »Wir errichten Wälle gegen das Chaos, Wälle aus Worten: Gesetze. Wir haben diese Verse zur Grundlage des Gemeinwesens gemacht. Erziehung dazu, dem Vorbild der Helden der Vorzeit zu folgen. Eintracht unter den Hellenen und Achtung vor den Göttern. Auf diesen beiden Säulen ruht der Boden, der uns trägt. Ohne die Verse von Hesiodos und Homeros würden wir in geschichtsloser Barbarei versinken.«
    »Übertreib nicht«, sagte Elphenor. »Ein plattfüßiger Dichter aus Boiotien und ein blinder Sänger aus Smyrna? Götter, deren Hauptbeschäftigungen Ehebruch und Anstiftung zum Mord sind? Und Raufbolde, fünf Jahrhunderte vor Homeros, der von ihnen kaum mehr wußte als wir?«
    Die anderen lachten; Solon schüttelte langsam den Kopf.
    »In den Taten der Götter und Helden«, sagte er, »sehen wir die Gesetze, die sie brechen und die wir befolgen müssen. Wir, die wir weder Götter noch Helden sind. Vielleicht haben wir uns all dies ausgedacht, um einen Rahmen für das Zusammenleben zu haben. Ein Traum, der uns leben hilft. Sollten wir je erfahren, wie sich die Dinge wirklich zugetragen haben… Ich fürchte mich vor dem Erwachen.«
     
    Sie segelten vorbei an Aigina, verbrachten eine Nacht am Gestade von Hydrea, dann zwei Nächte auf See, was den Halbphönikier Zenon nicht schreckte. Nach zwei Tagen des Handelns und Umladens verließen sie Melos. Im kretischen Hafen Kydonia ergänzten sie Wasser und Vorräte, verkauften Öl und erwarben Wein. Ungewöhnlich günstige Winde erlaubten es ihnen, westlich um Kreta zu segeln, dann nach Südosten.
    Einen Tag lang dümpelten sie in einer Flaute; sechs Tage, nachdem Kretas Küste hinter ihnen versunken war, erreichten sie, ohne lange an Libyens Nordküste entlangschleichen zu müssen, den westlichen Mündungsarm des Nils. Die anderen priesen Zenon als gottgleichen kybernetes , Vertrauten der Sterne, Liebling der Winde und zuverlässigen Überbrücker des weinfarbenen Meeres. Solon stand an der Bordwand. Er hörte die Lobreden und Scherze, hörte den Halbphönikier behaupten, von Kretas Westspitze aus den Nil genau zu treffen sei eine Kleinigkeit für ihn und seinesgleichen, nahm dies alles aber kaum wirklich wahr.
    Er bemerkte nicht einmal die Tränen, die über seine Wangen rannen. Etwas in ihm, nicht er selbst, dachte ihn und sich zurück in die Zeit der ersten Reise. Es war, als gäbe das uralte Ägypten dem Athener die Jugend zurück. Oder jedenfalls die Zeit früher Reife. Fünfundzwanzig Jahre… Dann wischte er sich die Wangen und die Augen. Er sah, daß

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