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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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der Dunkle Alte saß und ihnen entgegenstarrte. Die Wanne mit dem Pfahl; daran der zusammengesackte Körper eines Knaben, dessen Stimme vor dem Tod noch nicht gebrochen sein durfte, denn mit der Mannbarkeit begann der Verfall, und das ewige Leben floh. Floh aus den Dingen, die der Dunkle Alte in den Nächten des vollen und des neuen Mondes zu sich nahm, dem lebenden Opfer entnommen, ehe die Lebenskraft schwand.
    Die goldene Platte war leer, bis auf ein wenig Flüssigkeit; ein goldener Löffel, hieß es – aber der Löffel selbst war nicht zu sehen, nur der Griff, Elefantenbein, ragte aus dem geöffneten Schädel des Knaben, dem sie das Herz erst dann aus der Brust schnitten, wenn der Düstere den Löffel nicht mehr brauchte. Ninurta bildete sich ein, im Bart des Herrschers helle Reste zu sehen. Aber das konnte nicht sein. Es mußte ein Wahnbild sein. Lange stand er da und starrte den Mann an. Ein Jahr, oder drei Atemzüge. Im Zelt wurde es still, keine Schreie mehr, nur hier und da letztes Wimmern. Er spürte Tashmetu neben sich, erkannte Khanussus Räuspern, hörte Zaqarbal etwas flüstern, und die eine Träne, die mit welterschütterndem Lärm auf den dicken Teppich prallte, hatte vorher Ninurtas Wange geätzt.
    »Das kann nicht er sein«, sagte Khanussu; der Pfeil, auf die gespannte Sehne gesetzt, schwankte ein wenig. »Der da ist zu jung.«
    Tashmetu stöhnte leise; Ninurta wandte ihr das Gesicht zu und sah, daß sie fahl war.
    »Doch.« Seine Stimme war die eines Fremden; oder vielleicht gehörte sie einem anderen Ninurta, der am Skamandros gestorben war und nun wiederkehrte. Kein Ekel mehr, keine Beklemmung, nur Haß und unendliche Gier, wahnsinnige Lust: das uralte Messer in diesen Mann zu treiben, der da reglos auf dem Thron saß.
    »Doch«, wiederholte er, »er ist es. Ich habe ihn gesehen, damals.«
    Madduwattas beugte sich ein wenig vor; Licht fiel auf das Gesicht. Das Gesicht eines Mannes, der fünfunddreißig Jahre alt sein mochte. Der jünger geworden schien, seit Ninurta ihn zu jung gefunden hatte.
    »Eine Stimme aus der fernen Vergangenheit«, sagte Madduwattas.
    Die Worte kamen als Knarren, scharfkantiges Knarren, das die Zeltkuppel füllte und an den Haaren riß. Ein beißendes gelbes Knarren. Beißend gelb wie die Kräuter. »Awil-Ninurta. Hast du mir das Siegel mitgebracht? Gib es her.« Er streckte die Hand aus. »Und ihr da, kniet alle nieder.«
    Etwas war in dieser Stimme, in dieser Gebärde. Ninurta sah Khanussus Bogen sinken und fühlte sich plötzlich leer. Was wollten sie eigentlich hier? Warum knieten sie nicht?
    Dann sanken sie in die Knie. Khanussu. Kaidu, schräg hinter ihm, Staunen auf dem Gesicht. Ninurtas Knie gaben nach; hinter sich hörte er vielfaches Rascheln. Von mehr als zweihundert Kniefällen. Nicht alle – er sah sich um; etwas zwang ihn, sich umzusehen. Tuzku hielt sich aufrecht, mit krampfhaft geschlossenen Augen. Zaqarbal schwankte, aber noch fiel er nicht und kniete auch nicht. Zwei oder drei Söldner standen, aber sie hatten die Waffen sinken lassen. Tashmetu kniete nicht, beugte sich nur vornüber.
    Ninurta schob die rechte Hand in die Gürteltasche. »Ja, Herr«, sagte er. Mit dem Gefühl, eine wichtige Aufgabe erfüllt zu haben und Lob zu verdienen, legte er die Tonscheibe in die runzlige Hand.
    »Gut, gut. Und ihr seid gekommen, mich zu töten?« Die Stimme klang ein wenig belustigt. Ein gewaltiger Vater, der seinen lieben Kindern gleich einen kleinen mißlungenen Streich verzeihen wird. »Warum denn nur? Sag es mir, Assyrer.«
    Ninurta hörte sich selbst reden. Nicht gegen seinen Willen, denn er war willenlos.
    »Weil Madduwattas vor vielen Jahren das Spiel begonnen hat, an dessen Ende Troja und das Haiti-Reich und Alashia und hundert Städte und hunderttausende Menschen nicht mehr sind«, sagte Etwas mit seiner Stimme. Dann sagte Es noch viel mehr – von Aineias, von tausend Knaben, vom Sohn des Priamos, den die Assyrer ausgeliefert hatten, von der Insel. Irgendwann verstummte er.
    Madduwattas lachte leise. »Der Sotin des Priamos… Der Knabe, dessen Name deine Erinnerung befreien sollte. Hat Prijamadu ihn genannt? Und dieses Messer von Aineias. Welcher Herrscher von Tameri, sagtest du? Shubuk-hotep? Wie geziemend.« Er wies hinter sich, über die linke Schulter, wo ein kleineres Abbild des großen Drachengerippes stand.
    »Shubuk, der Tod und Unsterblichkeit ist. Gib mir das Messer, Assyrer; ich will es verwenden, um eure Herzen zu befestigen und eure

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