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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Künstler des Rechnens. Gerippe von Kindern, Berge von Halbverwestem vor den Sklavenhäusern. Was die Plünderer nicht hatten mitnehmen können, war getötet worden. Die von Vögeln und Kleintier befallenen Kadaver von Schafen und Rindern lagen verstreut im Tal.
    Sie verbrachten die Nacht an Bord des Schiffs, in der Grotte, wortlos, schlaflos; am Morgen verließen sie die Insel.
     
    Zwei Monde später kämpften sich mehr als zweihundert Männer und fast zwanzig Frauen gegen einen scharfen Winterwind steile Bergpfade hinauf. Ninurta hätte lieber einen Tag Rast eingelegt; sie würden den Ort auf der felsigen Hochfläche, an den er sich zu gut erinnerte, nach Einbruch der Dämmerung erreichen, und in dieser Nacht war Neumond. Die Nacht, in der Madduwattas jene Speise zu sich nahm, der er, wie die Leute flüsterten (wenn sie überhaupt davon redeten), Macht und Unverletzbarkeit verdankte und jene Unsterblichkeit, die nun schon fast neunzig Jahre dauerte.
    Der eisige Wind heulte ihnen so laut entgegen, daß sie zumindest nicht auch noch leise sein mußten, neben aller sonstigen Plage. Tashmetu, von Kopf bis Fuß in weiches Leder gehüllt, blieb keuchend neben Ninurta stehen, als sie unter einem Felsvorsprung noch einmal Rast machten. Die letzte Rast vor dem Ziel.
    »Ist es noch weit?« sagte sie, als ihr Atem langsamer ging.
    »Ohne diesen Wind könnte uns schon ein Stein treffen, von den Wächtern am Zugang geworfen, und sie könnten unseren Schmerzensschrei schon hören.«
    Tashmetu entblößte die Zähne; es war nichts, was man als Lächeln hätte bezeichnen können. »Es wird noch mehr Schreie geben als diesen unseren, der nicht stattfindet.« Ihre Augen blitzten.
    Ninurta berührte ihre Wange; dann wandte er sich ab. Insgeheim seufzte er, ratlos wie schon so oft. Sie hatten Kaidu in der Schänke aufgesucht, in Miletos; Kaidu hatte Khanussu und seine Männer gefunden. Der lange Shardanier und Ninurta waren nachts zusammengekommen, außerhalb eines namenlosen Dorfs an dem Fluß, den die Achaier Maiandros, Luwier und Hatti Astarpa nannten. Khanussu lauschte den Dingen, die der Assyrer ihm zu sagen hatte, musterte den uralten Dolch, dann nickte er.
    »Die Männer werden Silber wollen, mein Bruder – die neuen jedenfalls. Die alten – fünf meiner Landsleute leben noch, zwei Libu-Männer und natürlich Kaidu… Die alten Gefährten werden von dir kein Silber nehmen.« Er kicherte kurz. »Der Fürst, der uns bezahlt, hat den Fehler gemacht, nie mit uns Salz und Brot zu teilen; wir schulden ihm Gehorsam, solange wir wollen, aber keine Treue.« Dann packte er Ninurta bei den Schultern und sah ihm eindringlich in die Augen. »Eines mußt du mir sagen, Bruder.«
    »Sprich.«
    »Diese… Speisung der Unsterblichkeit.« Die Mundwinkel des Shardaniers sackten, als er dies sagte. Eine Mischung aus Ekel, Unglauben und Spott lag um den Mund. »Um zu wirken, muß alles noch… lebendig sein?«
    »So heißt es, Bruder.«
    »Er ist angreifbar«, sagte Khanussu versonnen. »Er sitzt im Winter da oben in den Felsen, wie heißt das Kaff, Ukirgendwas. Eine Hundertschaft Krieger, eine Hundertschaft Priester, einiges an Sklaven und… Futter, ja? Sie halten ihn für allmächtig und unsterblich, und allen graut vor ihm. Der Weg zu seinem Thron auf den Bergen ist steil und angeblich verflucht, keiner traut sich dorthin. Und wer hingegangen ist, wurde nie wieder gesehen. Er könnte unbewaffnet durch Abasa laufen, keiner würde mehr tun, als auf der Straße niederzuknien und das Gesicht zu verhüllen. – Du willst es selbst tun?«
    »Ich schulde es einem Lebenden und zahllosen Toten. Von diesen vor allem…«
    »Ich weiß; deine Freunde von der seligen Insel, die nicht mehr ist. Gut. Es gibt andere Wege zum Tod, aber der mit dir in die Berge ist sicher einer der steilsten.«
    Keine zwei Monde her… Nun standen sie unter dem Felsvorsprung und atmeten noch einmal durch. Der Wind jaulte weiter, der Abendhimmel war wolkenlos, und bald würde es dunkel – zu dunkel für den Aufstieg. Sie durften nicht zu lange rasten. Ninurta sah sich um. Sah viele Augen, die sich auf ihn richteten. Niemand hatte zurückbleiben wollen; Moliones Worte galten für alle:
    »Wir haben mit euch Männern Handel, Arbeit, Seefahrt, das Bett, Wein, Braten und Stürme geteilt, Herr. Und nun sollen wir zurückbleiben, wenn ihr die Ermordeten rächt? Es sind auch unsere Ermordeten. Meinst du denn, solange er lebt, könnten wir leben mit dem, was in Ialysos geblieben

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