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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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selbst reden willst, und der nachts die Stimmen knebelt, in deinem Kopf.
    Stimmen. Wispern, das dich nicht schlafen läßt. Tuscheln, das die Jahre zu Nadelspitzen zusammenzieht, auf denen du erbärmlich liegst.
    Nein, keine Schuld. Es gibt keine Schuld. Es gibt auch keine Unschuld, nach dem ersten Mal, und vorher nur Unwissen. Der schuldbeladene Hammer, der den Nagel ins Holz treibt? Der schuldige Nagel, der das Holz verletzt? Das schuldige Holz, dessen Wurzeln den Boden berauben? Der schuldige Boden, der Nahrung gewinnt aus dem Körper dessen, der einmal einen Hammer hob? Wir sind, was wir aus uns machen, und wir machen aus uns, was der Stoff hergibt, aus dem wir sind. Kalte Träume oder glühendes Eisen. Ich hätte von Göttern gesprochen? Ah, bei den Schönen der Höhle; das müssen die Kräuter gemacht haben, die sie auf die Kohlebecken streuten. Ja, ich habe es bemerkt, gerochen, genossen; er, der bald Niemand sein würde, hat es geduldet, der Dulder.
    Wirres Gerede… Ich spinne den Wein zu Fäden, Freunde, webe ein Tuch aus den Fäden des Weins, wickle die Fetzen meines Erinnerns hinein und – ein Knoten, ein Schluck. Gesammelt, gebündelt; wir werden sehen, ob sie immer noch wirr sind.
    Odysseus trägt nicht schwer an Schuld, Niemand trägt nicht leicht an Schuld – beide tragen keinerlei Schuld, denn es gibt keine Schuld. Nur Taten, aufzuwiegen durch Taten. Du hast einen Mann erschlagen? Nenn du es Schuld, ich nenne es Ungleichgewicht. Für jeden Baum, der gefällt wird, muß ein anderer gepflanzt sein. Für jeden Tropfen, den ich trinke, muß ein neuer vom Himmel fallen, daß nicht die Erde kippt. Wenn einer aus meiner Sippe einen aus deiner Sippe tötet, töte du mich oder meinen Bruder; keine Schuld, nur Ausgleich der Schalen. Und wenn es die Lebenden nicht tun, tun es die Geister der Erschlagenen.
    Vielleicht habe ich in all den Jahren – gar nicht so viele? Drei, vier Jahre? Sagen wir: vier Jahrtausende. In diesen Jahren habe ich die eine Speerspitze gesucht, die seit dem Beginn der Zeit darauf wartet, meine Brust zu öffnen. Ich habe das eine Schwert gesucht, dessen Klinge unvollendet ist, solange sie nicht mein Fleisch zerschneidet; den einen Stein, dessen göttlicher Zweck es ist, meinen Schädel zu Trümmern zu machen. Aber vermutlich gibt es die Götter nicht, die diese Zwecke bestimmen könnten; nur Moira, die krause Herrin des Zufalls. Ich habe den Speer und die Klinge und den Stein nicht gefunden, oder sie mich; kein Gift war scharf, keine Schlucht zerschmetternd, kein Fluß reißend, kein Felshang steil genug, mich zu töten. Niemand. Wer sollte Niemand töten? Immer tötet man Jemand.
    Mit dem Eimer der Tücke habe ich den Schacht des Entsetzens gefüllt – gefüllt mit dem, was ich erhielt, als ich den Brunnen der Niedertracht ausschöpfte. Danach war ich Niemand. Nun habe ich mit dem Löffel der Schmach den See des Entsetzens vom Schacht zurück in den Brunnen geschafft und bin wieder Odysseus. Gut gesagt? Ich habe auch lange geübt …
    Ernsthaft: Wie hätte ich heimkehren können, die Hände voller Blut und den Mund voller Grauen? Zu den grünen Hügeln von Ithaka, in die Arme der holden Gattin? Sie tröstet sich, hörte ich; das ist gut so. Ich hörte auch, Agamemnon habe gebadet. Jetzt, da ich die Hände in Grauen gereinigt und den Mund mit Blut ausgespült habe, kann ich heimkehren und all die Geschichten, die ich am Feuer und auf den Märschen hörte, samt denen, die ich mir nachts erzählt habe, als Erlebnisse einer langen Seewanderung ausgeben. Vielleicht einer Luftreise, oder eines Kriechens unter der Erdkruste. Wer nach Jahren heimkehrt, muß Rechenschaft ablegen, und je lügenhafter, desto wahrhaftiger.
    Als ich die Insel der Seligen verließ, gelabt von den Lieblichen und gestärkt durch ihr Lauschen, habe ich mich den Wandernden angeschlossen. Flüchtlinge aus den Dörfern um Troja, von der Küste der Meerengen, aus Mysien; von überall da, wo Achilleus und die anderen gerast und gebrannt und geplündert hatten. Geschlagene Krieger kamen hinzu, Phrygier und Masa-Männer und Lykier, führerlos nach dem Tod des Sarpedon, heimatlos nach dem Morden. Frauen und Männer der Grenzlande, in denen Hatti und Arzawer ihren verbissenen Kleinkrieg ausfochten. Versprengte und Vorreiter der Völker, die von jenseits der Meerengen kamen, als endlich die Festungen der Trojaner sie nicht mehr zurückhielten. Trojaner, mit ihren Kampfschiffen nach Alashia und Kilikien gesegelt oder nach

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