Trojanische Pferde
Abwesenheit jeglicher Emotion und jeglichen Begriffs von Realität ergriff sie, als wäre der einzige Halt, den sie je besessen, ihr plötzlich entzogen worden. Wie konnte sie tun, was von ihr verlangt wurde, ohne Jassar davon zu erzählen?
Sasha betrat die Maisonette, die sie sich mit Ibrahim teilte, noch immer in dem seltsam starren, gefühllosen Zustand, der sie auf der
Staid Matron
befallen hatte. Wie in Trance nur nahm sie ihre Umgebung wahr. In der Mitte des Zimmers stehend, zog sie sich die Schuhe aus, um den kalten Marmor unter ihren Füßen zu spüren und so dem Gefühl der Bodenlosigkeit etwas entgegenzusetzen. Gott sei Dank war Ibrahim nicht da. Sie wusste nicht, wie sie in ihrer zombiehaften Verfassung auf ihn reagiert hätte.
War es möglich, dass er von den Plänen dieser Leute wusste, seinen Vater zu ermorden? Sollte sie mit Ibrahim sprechen? Nein. Absurder Gedanke. So etwas war nicht mehr möglich mit ihm. Keine Gefühle, kein Vertrauen.
Und zu Jassar gehen? Nun, sie hatte Tom gehört. Das war bereits versucht worden. Ohne Glück. Und bestimmt hatten sie konkretere Informationen zu bieten als sie. Ja, sie waren Außenstehende. Sasha war es nicht. Sie konnte Jassar dazu bringen, sich die Fakten anzuhören. Aber dazu musste sie sie erst mal kennen, und es war nicht damit zu rechnen, dass man einer zwanzigjährigen Konkubine geheime Informationen anvertraute. Mit Sicherheit nicht Tom, dazu war er zu vorsichtig. Diese Männer waren Profis. Konnte sie sich ihnen zur Verfügung stellen und es dann Jassar berichten? Nicht, bevor sie über harte Fakten verfügte. Und die grundlegende Frage blieb bestehen: Wie konnte sie nach deren Vorstellungen handeln, ohne Jassar etwas davon zu sagen?
Jetzt brach der Kummer hervor, der sich in ihr angestaut haben musste, als sie begriffen hatte, was man sich von ihr erhoffte. Ihr totenähnlicher Zustand, das ahnte sie jetzt, war wohl auf die stille Erkenntnis zurückzuführen, dass eine Entfremdung von Jassar unvermeidlich war. Dadurch, dass sie ihre Aktivitäten vor ihm verheimlichen musste, würde ein Graben zwischen ihnen aufgerissen. Sie warf sich in einen Sessel und schlug die Hände vors Gesicht. Vielleicht würde sie Jassar verlieren. Wo auch immer diese Sache hinführen mochte, irgendwann würde er wahrscheinlich davon erfahren. Und man konnte auch nicht abwarten und hoffen, dass sich das Problem von selbst erledigte. Nicht, wenn zutraf, was Tom und die anderen behaupteten.
Langsam ließ sie die Hände wieder sinken. Der einzige Ausweg bestand darin, es zu tun. Und ihr war auch klar, warum: Sie war Jassar nicht nur verbunden, sie liebte ihn. Wie einen Vater. Sie würde es für ihn tun, weil sie ihn liebte, und mit dieser Gewissheit wäre sie imstande, das alles durchzustehen, auch wenn es am Ende dazu führte, dass sie ihn verlor.
KAPITEL 26
F EBRUAR, VOR ZWANZIG J AHREN . R IAD , S AUDI -A RABIEN .
Sasha lag auf dem Bett im Schlafzimmer von Ibrahims Suite und tat so, als würde sie schlafen. Das hatte sie die letzten sechs Monate so gemacht und war sich daher sicher, dass ihr niemand auf die Schliche kam. Sie versuchte Ibrahim, Abdul und Walid zu belauschen, die nebenan im Wohnzimmer noch eine Sitzung abhielten, bevor die allabendliche Party begann. Während Ibrahim sich schon mal den einen oder anderen Scotch in den Magen schüttete, füllten Abdul und Walid ihn mit fundamentalistischer Rhetorik ab. Leider konnte sie nicht alles verstehen, aber sie hatte auch Angst, sich an die Tür zu stellen.
Unmöglich.
Nach langem Hin und Her hatte sie sich schließlich bereitgefunden, für Tom Goddard zu arbeiten, musste aber zu ihrem großem Ärger feststellen, dass das gar nicht so einfach war. Seit ihrem Streit in Nizza hielt Ibrahim sich ihr gegenüber bedeckt. Und er war, wenn Abdul und Walid mal wieder auf Besuch kamen, klug genug, nur mit gedämpfter Stimme oder aber gar nicht zu reden, solange sie in der Nähe war.
Sie verstand nur etwa jedes dritte Wort im anderen Zimmer und beschloss schließlich doch, näher an die Tür heranzurücken, auf die Gefahr hin, ertappt zu werden. Falls sich jemand dem Schlafzimmer näherte, würde sie vorgeben, gerade aufgewacht zu sein und noch im Halbschlaf durchs Zimmer zu torkeln.
Lahme Strategie
. Aber besser als gar nichts. Sie glitt aus dem Bett, zog ihr Höschen aus, um im Notfall vielleicht wenigstens auf den Schockeffekt setzen zu können, und schlich dann auf Zehenspitzen zur
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