Trojanische Pferde
draufgekommen.«
»Was soll das denn heißen?«
»Nichts weiter, mein lieber Herr Einfaltspinsel, als dass Ihnen der große Bruder ziemlich deutlich anzusehen ist.« Sie nahmen ihre Runde wieder auf. Daniel versuchte ihr Alter zu schätzen. Zuerst hatte er gedacht, sie müsse Anfang dreißig sein. Jetzt aber entdeckte er Spuren winziger Krähenfüße in den Augenwinkeln.
Weisheit.
Es gefiel ihm, dass sie sie nicht mit Make-up übertüncht hatte. Sie setzte jetzt wieder zu einem Redeschwall an, wedelte mit den Armen, wobei sie vor Begeisterung beinahe ihren Wein verschüttete, und krümmte ihre frei Hand, um Nachdruck in ihre Worte zu legen. »Ich habe Wohnungen in Paris und London, weil ich meistens von Europa aus arbeite. Allerdings hatte ich in letzter Zeit immer öfter Shootings in New York und der Karibik, weshalb ich überlege, mir auch in New York ein Appartement zuzulegen.«
Er wartete ab, ob sie irgendetwas über einen aktuellen Mann in ihrem Leben würde verlauten lassen. Sie kamen zur Haustür und traten nach draußen. Die Luft war feucht und überraschend kühl. Es roch nach Wald. Ein Richter in schwarzer Robe und mit weißer Perücke, ein Matrose und einige Piraten lagerten in weißen Korbsesseln auf der Veranda. Daniel und Lydia stiegen die Stufen hinab und spazierten die Auffahrt entlang, bis das Zirpen der Grillen lauter war als die Unterhaltung auf der Veranda. Er war jetzt doch recht gespannt, was die Männerfrage anging, wollte sich aber noch ein bisschen gedulden. Sie blieb stehen und schwieg lächelnd.
»Wie sind Sie hier draußen untergebracht?«
»In einem kleinen Bed-and-Breakfast außerhalb des Ortes. Eins von den Mädchen hat einen Wagen gemietet. O Gott« – sie riss die großen schwarzen Augen auf –, »Models
können nicht
Auto fahren. Sie fliegen morgen zurück. Ich dachte mir, ich könnte die Gegend noch ein bisschen kennenlernen, auch im Hinblick darauf, dass ich mir vielleicht eine Wohnung in New York nehme.«
Eine Gelegenheit?
»Ich könnte Ihnen vielleicht behilflich sein.«
Sie gelangten an einen der Eingänge zu Jonathans Gärten. Der Rasen, über den sie gingen, war feucht und kühl. Der Mond warf sein Licht auf ihre Schulter.
Noch sahnigere Haut als an den Beinen.
Sie setzten sich nebeneinander auf eine Bank. »Bei meinen Überlegungen, eine Wohnung in New York zu haben, steckt im Hinterkopf wahrscheinlich der Wunsch, endlich mal irgendwo Wurzeln zu schlagen«, sagte sie, an ihren früheren Gedankengang anknüpfend. »Erst im Rückblick ist mir klargeworden, dass ich von klein auf an doch ein überwiegend leeres Leben gelebt habe.« Daniel schwieg. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Es war fabelhaft, all die vielen Orte zu bereisen, so viel zu sehen und in der Gesellschaft wirklich faszinierender Menschen aufzuwachsen. Künstler, Politiker, sogar Mitglieder von Königshäusern. Und so gut wie alles zu haben, was ich wollte – Sophie war schon reich, aber einige ihrer Freunde waren superreich. Doch Jahre später habe ich erfahren, dass andere mit der Wärme und Nähe aufgewachsen sind, die ich mir auch gewünscht hätte. Ich habe recht lange gebraucht, um zu erkennen, dass so etwas auch möglich ist.« Sie sah ihn durch die ins Gesicht gefallenen Haare hindurch an, dann warf sie sie mit lässigem Schwung zurück, um in seinen Augen eine Reaktion ablesen zu können. »Wissen Sie, wovon ich spreche?«
»Ich bin nicht so aufgewachsen. Hört sich nach Einsamkeit an.«
»Einsam nicht, eher seelenlos. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.« Sie setzte sich gerade. »Man sollte allerdings meinen, dass ich mir nach solchen Erfahrungen einen Beruf mit etwas mehr emotionaler Substanz ausgesucht hätte. Die Modewelt schäumt nicht gerade über vor Tiefgründigkeit, und an manchen Tagen empfinde ich sehr deutlich, was ich vermutlich bin: ein gemietetes Werkzeug für den Moment.«
»Wem sagen Sie das. So fühle ich mich in letzter Zeit auch oft. Mein Betätigungsfeld, das ist heutzutage eine Arena von freien Dienstleistern, in der nur das Gesetz von Fressen oder Gefressenwerden gilt. O ja, ich weiß, wovon Sie sprechen. Wenn es keinen Spaß mehr macht, sollten Sie ernsthaft daran denken, auszusteigen.«
»Sie überraschen mich.«
»Ach? Warum?«
»Ich hätte Sie nicht so eingeschätzt.«
»Wie eingeschätzt?«
Sie ließ sich einen Moment Zeit. »Offen. Zugewandt.«
»Wie konnten Sie denn überhaupt einen Eindruck von mir gewinnen?«
Sie wandte sich ihm zu, als
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