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Trojanische Pferde

Trojanische Pferde

Titel: Trojanische Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lender
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wollte sie ihm ein Geheimnis verraten. »Nun ja, von Weitem sahen Sie ziemlich steif aus, wie jemand, der die Nase hoch und zwei Flaschen Wein in der Hand trägt.«
    Er lachte. Der Mond trat hinter einer Wolke hervor, und er sah, dass sie die Lippen leicht geöffnet hatte und ihm forschend in die Augen blickte. Nach einer Weile sagte sie: »Wonach strebt ein Mann wie Sie noch, Daniel?«
    »Danach, etwas zurückzugewinnen, vermute ich. Einer meiner Freunde hat gesagt, ich müsse wieder an etwas glauben – oder an jemanden.«
    »Wieder?«
    »Angie. Meine Frau. Sie ist vor zwei Jahren gestorben.«
    »Das tut mir leid. Ich hatte selbst auch manchen Verlust zu beklagen. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber ich habe meine Glaubensvorstellungen, die mir helfen, Verluste wie den, den Sie erlitten haben, zu verarbeiten.«
    Daniel fühlte sich nicht verpflichtet, darauf zu antworten.
    »In meiner Religion glauben wir, dass die Seelen immer wieder zurückkehren, bis sie es richtig machen. Manche, die gar nicht wissen, dass sie sich auf dem Weg befinden, erreichen das Ziel durch die Art und Weise, wie sie leben. Andere, die sich unglaubliche Mühe geben, kriegen es irgendwie nicht hin und müssen Hunderte Male wiederkehren. Es kann also sein, dass Sie Angie nicht wiedertreffen, jedenfalls nicht vor der allerletzten Reise. Vielleicht aber doch.«
    Daniel dachte an Angie und wunderte sich, dass er ihr Bild nicht recht vor Augen bekam, die in der Erinnerung bewahrten Momente, wie sie ihn ausschimpfte, ihn neckte, ihn zum Lachen brachte. »Wenn das so läuft, wie Sie sagen, muss Angie vielleicht noch ein paar Runden drehen. Sie konnte ganz schön aufbrausend sein. Aber sie hatte was Aufregendes, wenn sie wütend war.«
    Lydia legte den Kopf zur Seite, drängte ihn mit den Augen, fortzufahren.
    »Selbst wenn ich stinksauer auf Angie war, habe ich nie vergessen, wie toll es war, mit ihr zusammen zu sein. Ich konnte ihr von Anfang an offen und ehrlich begegnen. Musste mich nicht verstellen, und das alles fühlte sich ganz selbstverständlich an. Sie hat mir die Gewissheit gegeben, dass es alle Mühe wert ist, wenn man jemanden hat, mit dem man sein Leben teilen kann.«
    Lydia schob eine Hand unter ihren Schopf, warf die Haare zurück und legte den Kopf auf die Seite. »Nur weiter.«
    Daniel sagte: »Nun ja, das Leben muss weitergehen, nicht wahr? Trotzdem kann man nicht, wenn man jemanden kennenlernt, einfach beschließen, dass es das jetzt ist. Es muss von selbst kommen. Man kann nicht danach suchen.«
    »Haben Sie danach gesucht?«
    »Schwer zu sagen.« Daniel schürzte die Lippen. »Eins aber ist sicher: Gefunden habe ich nichts, das dem gleichkommt, was ich mit Angie hatte. Vielleicht deshalb, weil ich in Wirklichkeit das, was wir da hatten, nicht aufgeben wollte.«
    »Aber warum sollte man sich den Wunsch aus dem Kopf schlagen, eine seelische Gemeinschaft mit einem anderen Menschen zu finden?«
    Es bereitete Daniel Wohlbehagen, das zu hören. »Wie kommt es, dass Sie sich in diesen Dingen so gut auskennen?«
    »Man könnte vermutlich sagen, dass ich selbst einige Niederschläge zu verkraften hatte. Aber von diesen Geschichten möchten Sie nichts hören.«
    Er setzte sich gerade. »O doch, würde ich gern.«
    Sie saß schweigend, mit verlorenem, wie in weite Fernen gerichtetem Blick.
    Er wollte schon den Mund aufmachen und sie dränge, zu erzählen, hielt dann aber inne. Sie war ganz woanders. Schmerz stand ihr im Gesicht geschrieben.
    Komm schon, halt mich nicht hin.
    Sie erhob sich abrupt. »Tut mir leid, ich muss jetzt gehen.«
    »Habe ich irgendwas Falsches gesagt?«
    »Nein«, sagte sie. »Überhaupt nicht, aber ich muss wirklich gehen. Ich bin noch das ganze Wochenende da. Wir sehen uns wieder. Gute Nacht, Daniel, es hat mich wirklich gefreut, Sie kennenzulernen.« Sie sprach mit solcher Entschiedenheit, dass er ihr nicht folgen mochte, als sie sich umdrehte und davonging.
    Was für eine Frau. Schön, weltgewandt, aber mit seelischer Tiefe. Und schwer zu durchschauen.

    5. J ULI, LAUFENDES J AHR . M ILFORD , P ENNSYLVANIA .
Seit Angelas Tod stürzte Daniel an den Wochenenden immer sofort aus dem Bett, sobald er aufgewacht war. Damit ging er dem Dösen im halb wachen Zustand zwischen Traum und Bewusstsein aus dem Weg, in dem er sich früher immer zu Angie gedreht und sich vergewissert hatte, dass alles war, wie es sein sollte. Wenn er sich jetzt umdrehte, wurde er mit der vernichtenden Wahrheit konfrontiert, dass sie

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