Trojanische Pferde
hatte; an das rückenfreie Abendkleid, das sie zum Dinner mit Baroness und Baron de Moulin getragen und das den Baron veranlasst hatte, den ganzen Abend über den Blick auf ihr ruhen zu lassen; an den Kick der 16-Kaliber-Schrotflinte, mit der sie gern auf Wachteljagd ging. Nie mehr das alles?
»Saudische Frauen tragen die Kleidung, die sie sich aussuchen, vorausgesetzt, sie erregt keine Aufmerksamkeit, weil sie entweder zu offenherzig, zu eng oder zu kurz ist. Kleidung, die Frauen als ›nackt trotz Bekleidung‹ erscheinen lässt und die Leidenschaften der Männer erregt, wird nicht nur als mit dem Glauben unvereinbar betrachtet, sondern auch als unfair, unfreundlich und unvernünftig. Die meisten westlichen Blusen, selbst die mit langen Ärmeln, die so dünn sind, dass man darunter die Unterwäsche sehen kann, werden nicht gebilligt.« Er musterte sie wie ein strenger Professor. »In deinen privaten Gemächern, und in Gesellschaft von Ibrahim, stellt sich die Sache natürlich anders dar.«
»Verstehe«, sagte sie.
Vielleicht sollte ich einfach die Tür aufreißen und rausspringen.
Die Muskeln in ihrem Unterleib zogen sich krampfhaft zusammen und ein Schmerz durchzuckte ihr Herz, als würde es von seinen Worten zermalmt.
Bitte, Jassar, hör auf damit.
Jassar griff nach ihrer Hand. Sie zog sie zurück und legte sie in den Schoß. »Meine Liebe, es ist nicht meine Absicht, dich zu verängstigen oder dir den Eindruck zu vermitteln, dass du dich im Großen und Ganzen nicht mehr so verhalten kannst, wie du es gewohnt bist.« Seine schlaffen Augen blickten wieder weich und sanft, er war der Jassar, den Sasha kannte. »Ich möchte nur nicht, dass du irgendwann von der Mutaw’een abgeführt wirst, weil du zum Beispiel Fahrrad gefahren bist. Oder etwas getan hast, das dir ganz selbstverständlich erscheint, ohne zu wissen, dass es in unsererKultur schief angesehen wird. Und ich möchte nicht, dass du die königliche Familie in Verlegenheit bringst, denn man wird wissen, dass du zu unserem Umfeld gehörst. Es wird alles nicht so schwer sein. Oder unangenehm. Du wirst sehen.«
Sashas Augen begannen zu brennen.
Noch nie in meinem Leben habe ich mich so allein gefühlt.
Sie wandte sich zum Fenster, versuchte die Gedanken abzustellen und zählte zur Ablenkung die Nieten um den Fensterrahmen. Aber eine Stimme in ihrem Innern hörte nicht auf, sie zu belästigen.
Ich bin verloren. Ich verschwinde im Nichts.
R IAD , S AUDI -A RABIEN .
Dort tauchten sie in der Ferne auf: die in der Sonne glitzernden, aus zweiundzwanzigkarätigem Gold bestehenden Zwiebeltürme des königlichen Eintausendsiebenhundert-Zimmer-Palasts. Während die Limousine mit Sasha und Jassar an Bord sich der weiß verputzten Außenmauer näherte, die das Gelände um den königlichen Palast einfasste, passierten sie dicht an dicht stehende, unscheinbare graue oder braune Geschäfte und Wohnhäuser aus kantigem Betonschalstein. Einige in Gewänder gehüllte Gestalten spähten durch die getönten Fenster der vorbeifahrenden Limousine. Sasha mied ihre Blicke, am liebsten hätte sie sich unsichtbar gemacht vor Scham. Sie roch den allgegenwärtigen saudischen Staub sogar im Innern des klimatisierten Wagens.
Gewöhn dich lieber dran
. Erschreckend deutlich spürte sie mittlerweile das raue Gewebe ihrer Abaya.
Auch das noch.
In der Palastgarage wurden die Autotüren von hellbraun und rot uniformierten Gardisten geöffnet. »Ich werde mich nach deinem Wohl erkundigen, nachdem du dich eingerichtet hast. Jetzt rufen mich die Geschäfte«, sagte Jassar unzeremoniell und verschwand unter dem Rascheln von Gewändern und dem Knallen von einem Dutzend Stiefelabsätzen. Sasha wurde von zwei Frauen in schwarzen Abayas in Empfang genommen. Sie geleiteten sie durch einen Eingang, vorbei an den steifen Gestalten weiterer königlicher Gardistenund dann durch immer labyrinthischer erscheinende Flure zu einer gewichtigen Flügeltür.
Okay, halte Distanz, geh da durch. Und zwar ohne mit der Wimper zu zucken.
Zwei junge Damen in taillierten, mit Goldborten gesäumten Jacken im Eisenhower-Stil erwarteten sie auf der anderen Seite der Flügeltür und führten sie an eine Zimmertür. Nachdem die eine sanft geklopft hatte, traten sie ein. Das Zimmer erwies sich als eine geräumige, trapezförmige Wohnung von ungefähr hundertvierzig Quadratmetern. Eine offen stehende Tür in der gegenüberliegenden Wand führte in ein Ankleidezimmer, eine weitere Tür daneben war geschlossen. Alles war
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