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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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zu wünschen, ihn vielleicht, in der Phantasie, immer wieder auszuführen? Dann bin auch ich ein Verbrecher. Er hat mehr getan als das, werden Sie sagen. Er hat den Mord vorbereitet. Hat das Opfer ausspioniert, es verfolgt. Das Gift besorgt. Trotzdem ist die Tat eine Phantasie geblieben. Und sie hatte nie die Chance, mehr als das zu sein. Eine Operetten-Vendetta. Ein Mann hätte ein Messer oder eine Pistole genommen und die Sache noch hier in Rom zu Ende gebracht. Ganz einfach. Alessandro Bianchi war dazu nicht in der Lage. Bis ich vierundzwanzig Jahre alt war, habe ich geglaubt, mein Vater, dieser verstockte, in der Vergangenheit lebende Krämer habe es immerhin verstanden, einen der exklusivsten Handwerksbetriebe seiner Zeit nach einer familiären Tragödie, über zwei Weltkriege, von der Monarchie über die Diktatur bis in die Republik zu retten und einen mittelmäßig erfolgreichen Produktions- und Handelsbetrieb aufzubauen. Aber dann, es war im Herbst 46, ein paar Monate, nachdem König Umberto ins Exil gegangen war, stand er wieder vor der Tür, der Sekretär. – Kommen Sie mit, ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
      
       Bianchi wies auf eine Tür, die derjenigen, durch die wir sein Büro betreten hatten, gegenüberlag. Er öffnete sie und wir folgten ihm durch einen langen, spärlich beleuchteten Gang, dessen Boden mit einfachen Holzdielen gedeckt war. Bianchi ging in gebeugter Haltung, das strähnige, offenbar gefärbte Haar an seinem Hinterkopf verdeckte kaum den an vielen Stellen kahlen Schädel. Seine Schultern wirkten schief wie die eines Krüppels, und seine Hände zitterten. Wir folgten ihm weiter auf eine Wendeltreppe aus grobem Stein, die wir zwei Stockwerke tief hinabstiegen. Holztüren auf den beiden Etagen, die wir passierten, trugen römische Zahlen oder Schilder, deren Aufschrift ich nicht entziffern konnte. Hinter manchen von ihnen war Hämmern und Klopfen und das Surren von Nähmaschinen zu hören.
       »Wir kaufen das Leder heute zwar ein, aber wir fertigen viele unserer Artikel immer noch selbst«, murmelte der Alte sich halb umwendend.
       Am Fuß der Wendeltreppe öffnete er eine zweiflügelige Holztür, hinter der sich ein großer Raum befand, in dem eine Reihe von älteren Damen an Tischen neben Packen von Lederhäuten in verschiedensten Farben und Größen saß und mit Zuschneidearbeiten beschäftigt war. An anderen Tischen wurden Entwürfe gezeichnet. Ein gemütlicher Greis im Hausmeisterkittel sortierte Häute aus, die er vorher mit Hilfe einer Lupe untersucht hatte.
       »Das Atelier«, brummte Bianchi. Wir folgten einem weiteren Gang vorbei an zwei klimatisierten Remisen, hinter deren Fenstern man in Regalen, auf Tischen und Holzgestellen zahllose Lederbündel lagern sah.
       Am Ende eines letzten Ganges schließlich erwartete uns ein mit Vorhängeschlössern verriegeltes breites Eisentor, durch das ein Lastwagen gepaßt hätte. Die Weitläufigkeit der Kellergeschosse des von außen so unscheinbaren Hauses war beeindruckend. Aber das, was wir sahen, als Bianchi keuchend das Tor öffnete, verschlug mir den Atem:
       Hinter der Tür traten wir auf eine Plattform aus brüchigem altem Stein, von Stahlträgern eingefaßt und mit einem Eisengeländer umgeben. Vor uns, unterhalb der Plattform, erstreckte sich ein unterirdischer Raum, der die Ausmaße einer Kathedrale haben mußte. Er fiel terrassenförmig gegen einen fernen unbeleuchteten Hintergrund ab. Auf jeder der breiten, zum Teil durch Geröllhalden ineinander übergehenden Terrassenstufen waren Überreste antiker Bauwerke zu erkennen, die Form und Erhaltung nach aus verschieden Epochen zu stammen schienen. Nur das erste der Plateaus war von hier oben deutlich zu erkennen. Eine Anzahl von Räumen ohne Dach, in denen sich ausgekleidete Gruben und Fässer befanden sowie Werkzeuge und andere Gerätschaften.
       Bianchis Miene war die Freude über den Eindruck, den dieser fast unwirkliche Raum auf uns machte, abzulesen.
       »Der Keller unseres Hauses. Ein paar Jesuiten haben hier unten herumgegraben, als meine Familie das Haus im vorigen Jahrhundert kaufte. Später geriet die Ausgrabungsstätte in Vergessenheit. Das da unten ist die Gerberei meines Onkels gewesen. Er hat sie hier so vorgefunden und als Werkstatt genutzt. Die Gruben, in denen geweicht, geäschert und gebeizt wurde, stammen noch aus dem Mittelalter.«
       Zack betastete die Wand und fand einen Schalter, der zwei Scheinwerfer zum Leuchten brachte, die

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