Trojaspiel
seiner Reise (neue Kunden gewinnen, jaaah, ein paar abgesprungene Stammkunden animieren, mh mh) abzunehmen, wo es doch schon nicht möglich gewesen war, ihm das Ziel zu verheimlichen. Der Junge mußte auch ihm hinterherspioniert haben, oder er hatte sich alles einfach zusammengereimt. Er wußte, daß Alessandro jenem hünenhaften Deutschen, der für den Nachrichtendienst des Generalstabes gearbeitet hatte und jetzt – womöglich sogar wegen des Zwischenfalls mit Giorgio – strafversetzt worden war, nachgereist war, um ihn hier, in der Provinz, in seiner weniger exponierten Stellung zur Strecke zu bringen. Es kam zum Streit. Der Knabe fühlte sich benutzt, sah sich im Falle einer Straftat sogar als mitschuldig an und bettelte, unreif, wie er war, den Menschen, den er sich als Vater ausgesucht hatte, an, sein Wissen den Behörden anzuvertrauen, Rechtsmittel zu suchen und nicht zum Mörder zu werden.
Er machte meinem Vater Vorhaltungen und wies ihn darauf hin, daß noch immer der eine wesentliche Umstand der Tat nicht geklärt war, nämlich, ob von Sklarz, so hieß jener Deutscher, nicht in Notwehr gehandelt habe. Er beschrieb meinem Vater das Wesen dieses Mannes, beschrieb ihn als einen Säufer, der zwar labil und gefährlich sei, aber vermutlich während dieser Tat nicht zurechnungsfähig gewesen war. Er brachte meinen Vater, der endlich die bühnenreife Dramatik in seiner Aufführung wiedergefunden zu haben glaubte, so weit, daß er schäumte und ihn schlug. Womit er in den Augen dieses unglücklichen Burschen wohl endgültig das freiwillige Bekenntnis zu seiner Vaterrolle geliefert hatte. Der vermeintliche Sohn lief davon, Drohungen ausstoßend. Aber der Verrat, den mein Vater nun befürchtete und der ihn Hals über Kopf fliehen ließ, den gab es nicht, was ihn fast so sehr überraschte wie die Nachricht des Todes jenes Herrn von Sklarz, der ganz ohne sein Zutun erfolgt war.
Der Junge jedoch, er hörte diese Nachricht ebenfalls – sie war Tagesgespräch –, und zwar kurz nachdem er sich mit dem Fahrrad aufgemacht hatte, um, wenn es sein mußte, bis ans Ende der Welt zu flüchten. Sie traf ihn wie ein Schlag, und statt weiter in die Pedale zu treten und Abstand zwischen sich und diese Geschichte zu bringen, trieb ihn ein letzter Rest von Neugier auf dieses Land, das er noch keine Zeit gehabt hatte kennenzulernen und von dem er in so vielen Büchern gelesen hatte, in einen Kolonialwarenladen, durch den er wie ein Fieberkranker taumelte. War er ein Mörder, war sein Ersatzvater ein Mörder, wo lag eigentlich und in welchem Umfang die Schuld, die er zu vertreten hatte? Und da er selbst, überreizt und von Sinnen, sich nicht mehr in der Lage sah, diese Frage zufriedenstellend zu beantworten, trat er, als er das Dröhnen der sich nahenden Hufe hörte, einfach hinaus auf die Straße, um das Urteil einer höheren Macht zu überlassen.«
In einem wesentlichen Punkt zeigte Bianchis Bericht die Wahrheit. Unsere Familie ist immer anwesend. Geradezu in drastischer Form, aufdringlich für unser Gewissen, wenn sie nicht zugegen ist. Was bedeutet da Identität? Wo und wann haben wir denn wirklich die Möglichkeit, uns von den anderen zu unterscheiden, wir selbst zu sein? Und um welchen Preis? Können Sie mir sagen, wer ich bin? Nein? Wie soll ich es dann wissen, bei all den widersprüchlichen Informationen?
Denken Sie an Ihre eigene Familie. Diejenigen, die lange gegangen sind oder uns nur meiden, haben unsere einsam gewordene Welt mit ihrem Schatten geprägt. Aber es geht noch weiter. Das Wispern der Gene, das insgeheim unser Schicksal webt, hören Sie einmal hin!
Ich lebe mit meinen Vorfahren, tagein, tagaus. Da ist jene arrogant geschwungene Braue jenes Ur-Ahnen, des Küfers, der während des großen Krieges vor dreihundert Jahren in frei gewählter Vereinzelung tief im Wald Fässer formte. Dieser freche Haarstreifen, er ist auch in meinem Gesicht.
Die sprichwörtliche Giftigkeit, gallenbitter, dieser aus dem Nichts auflodernde Zorn jenes Pfarrers, der in der kleinen Hafenstadt feurige Predigten hielt und nebenher oder hauptsächlich trank: mir nicht unbekannt.
Die unvergessene Konzentration des Magisters schließlich, der eine Fürstenbibliothek verwaltete und nebenbei über Tauchglocken forschte. Er brachte es fertig, zweiundfünfzig Stunden am Stück auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch zu sitzen und mit dem Federmesser und einem Leeuwenhoek-Mikroskop rechteckige
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