Trojaspiel
Lippen dieses Fremden, lag in seinen Armen und rutschte vor ihm auf den Knien. Der verschollen geglaubte Sohn, er war endlich zurückgekehrt. Ich hatte meinen Vater noch nie so erlebt. Damals erfuhr ich sie, die wahre Geschichte von Giorgios Ende. Hörte zum ersten Mal von der geplanten Rache und der Flucht aus Deutschland, erfuhr, daß mein Vater, der von der Verhaftung und dem plötzlichen Verschwinden seines Sekretärs gehört und gelesen hatte, sich jahrelang Vorwürfe machte, nicht etwa, weil er nicht selbst von Sklarz bestrafte, sondern weil durch seine romantischen Rachepläne der russische Freund in Gefahr geraten war. Und sicher, ohne den geringsten Zweifel, hätte er alles dafür getan, wäre es denn zu einer Anklage gekommen, um den Unschuldigen zu erretten. Aber der Krieg brach los, der Faden war zerrissen, und der tapfere Freund, dessen Hinterlassenschaft mein Vater hütete, blieb wie vom Erdboden verschluckt . . .«
Bianchis Augen blitzten zornig.
»Und vor wem könnte es mir so viel Spaß machen zu gestehen, daß ich ihn hasse, völlig grundlos, das heißt also aus reiner Boshaftigkeit hasse? Der Haß hat mich über die Jahre verwandelt, und der schönste Moment meines Lebens, auch wenn ich am Ende nicht mehr daran geglaubt habe, daß er einmal kommen würde, sollte immer derjenige sein, an dem ich dem angekündigten Besuch auf den Spuren dieses so edlen, großherzigen Mannes, gestehen würde, wie groß mein Haß ist. Weil der Sekretär mir bei allem, was ich tat, im Wege war. Ich wollte, ich hätte ihm den Hals umgedreht, als er damals zurückkehrte, und wenn er jetzt statt seiner Jünger noch einmal erschienen wäre, um mich ein letztes Mal als Erbe, als Sachwalter seiner Hinterlassenschaft zu verhöhnen, dann hätte ich für nichts garantieren können. Trotzdem versprach ich meinem Vater, daß ich denjenigen erwarten wollte, der auf den Spuren des Russen eines Tages hier erscheinen würde.
So wie er es dem Sekretär bei seiner Rückkehr versprochen hatte.
Ich tat es, weil ich erfahren mußte, daß wir alles, was wir besaßen, nur ihm zu verdanken hatten. Unser Essen, unsere Kleidung, unsere Häuser, jeden Fetzen Leder. Er hatte alles bezahlt.«
Mit einer tragischen Gebärde, die bei seinem beißenden Ton etwas Lächerliches hatte, griff Bianchi mit krampfenden Händen nach dem Stahlgeländer und warf den Kopf auf die Brust, um ein schauerliches Geheul anzustimmen, das, nachdem er ein paarmal mit dem Fuß gegen das Geländer getreten hatte, zu einem dumpfen Schluchzen wurde. Niemand von uns versuchte, den Alten zu trösten. Zacharias verzog angewidert den Mund.
»Ich bin niemandes Jünger«, murmelte er. Aber Bianchi hörte ihn nicht.
»Armer Kerl«, sagte Laura zu mir aufblickend. Aber ich wußte nicht, wen sie meinte.
In den Erzählungen der Klassiker drückt sich die Nervenkrise oder auch ein bedeutender Wandel in der Persönlichkeit einer Figur oft in schweren, immer unspezifischen Krankheiten aus, die meist fiebrig sind und in der Regel allein durch strikte Bettruhe kuriert werden. Die Betroffenen werden sozusagen dramaturgisch blaß, sogar todesbleich, für einen gewissen Zeitraum, um anschließend mit neuer Kraft und frischer Farbe, in ihrer Entwicklung vorangeschritten, weitere Abenteuer bestehen zu können. Wenn es der Handlung dienlich ist, sterben sie auch einfach, als Beweis für ihre Läuterung schlechthin, die in Taten nicht mehr nachgewiesen werden muß. In einer modernen Fabel drückt sich der Umbruch prosaischer aus, natürlich auch das Klischee nutzend, vielleicht weil namenlose Krankheiten selten geworden sind. Der Held meinetwegen vergreift sich rücksichtslos an Mitteln, oder man zeigt sein ganzes Elend, kurz bevor er wieder zu Kräften kommt, etwa in einer morschen Gartenlaube, allegorisierend, indem man ihn beispielsweise über verwesenden Essensresten Selbstgespräche führen läßt. Dergleichen beeindruckt den Leser.
Mahgourian jedoch ist ein Vertreter der alten Schule, und so erleidet er in den Tagen nach unserer Begegnung mit Bianchi eine Art Fieberwahn, während er sich mit den Dokumenten, die ihm der Italiener überließ, als wäre es das letzte, was er in seinem Krämerleben noch zu tun gedächte, im Hotelzimmer einschließt. Für uns interessiert der Hotelier sich vorläufig nicht mehr. Diese Zielstrebigkeit, die das Joviale seines Temperamentes ganz verdrängt, hat etwas auf ein Ende Gerichtetes, wie die
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