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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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verlegen den Schlafanzug aus roter Seide, den er trug: Pfauen stolzierten neben Häusern, die ähnlich aussahen wie Schuhkartons, auf die jemand getreten war. Es wäre die gleiche Seide, hatte seine Mutter gesagt, die Graf Borodin trug, wenn er in seinem Rauchzimmer den Schriftverkehr mit Alexander Bulygin in Petersburg, dem Außenminister des Zaren, führte.
       Aber so schön und glänzend der Stoff auch sein mochte, es war doch bequemer, nicht noch mehr Interesse bei anderen Menschen zu wecken, sich nicht noch mehr von anderen Kindern zu unterscheiden, die über seine Haare strichen und danach die Finger rieben, um den Goldstaub rieseln zu sehen, die ihm sagten, er habe ein Puppengesicht mit Porzellanaugen, wo doch eine Puppe ein toter Gegenstand war, und gerade er, den die Unruhe der Gedanken nicht einmal im Schlaf verließ, dem nicht einmal die Träume blieben, um Ruhe vor der Welt zu haben, fand es ungerecht, mit etwas Leblosem verglichen zu werden.
       Nahm sie ihn zum Einkaufen mit, bat er die Blühstein, seine ältesten Hosen und ein abgetragenes Hemd anziehen zu dürfen, er fühlte sich dann sicherer vor den Blicken der Passanten, der Krämer und der zahlreichen Freundinnen Deliahs, die mit seiner korpulenten Wärterin hierüber und darüber plauderten, ihm den Kopf tätschelten und jeden kurzen Ausflug zu einer Odyssee werden ließen.
       Zog die Blühstein es vor, ihn mit den feinen Knabenanzügen auszustatten, die seine Mutter ihm genäht hatte, dann nutzte er die erste Gelegenheit, um sie an einer schmutzigen Hausecke einzustauben oder gar im Straßendreck mit der Patina des Viertels zu versiegeln. Er schämte sich dafür, das Handwerk seiner Mutter zu entweihen und fühlte gleichzeitig einen kleinen Triumph, weil er ihr zeigte, daß es keinen Sinn machte, wie Graf Borodin gekleidet zu sein, solange man von einer schwatzhaften Frau mit grauer Küchenschürze durch die Straßen gezerrt wurde. Die kolossale Deliah stampfte wie ein wütendes Dampfschiff durch das Gewoge des alten Marktes, und die Taschen ihrer Schürze würden zusätzlich zu ihren Einkäufen auch noch ihn verschlucken, versprach sie, wenn er sich weiterhin ziehen lasse, als sei er ein Sack Zwiebeln. Aber schon im nächsten Augenblick hatte sie wieder ein Lied angestimmt oder eine ihrer zahlreichen weiblichen Bekanntschaften getroffen, die sie über die Heiratsabsichten junger Männer im Viertel aufklärten, Burschen, die jetzt in das richtige Alter gekommen und damit auch würdige Kandidaten seien, um die Gunst ihrer Schwestern (die dieses Alter schon vor Jahren erreicht hatten) zu buhlen.
       Mit seiner Mutter, dachte der Junge, wäre er vermutlich stolz durch diese fremde Welt gegangen, aber im Schlepptau des Dampfers kam er sich verlassen vor. Die Kinder, deren Kleider zerrissen und die oftmals nicht einmal gewaschen waren, mußten zu Recht an jemandem Anstoß nehmen, der heimlich im Pfauenkostüm auf einer Fensterbank saß und auf alles, was da unten in einer Staubwolke lebte, hinabsah. Er war anders als jene, und er fürchtete, dies sei der Grund dafür, warum Deliah ihn besser behandelte als die Kinder von Luda, die Haushalt und Werkstatt in Ordnung hielt, und auch der Grund dafür, daß Jankel, der ihm vorlas, so traurig war, daß der Rabbi so oft seufzen mußte und daß Zipperstein, der Dieb, ihn ansah, wie etwas, das er am liebsten verschlingen würde, wäre ihm das nur erlaubt worden.
       Dieser Dieb war der seltsamste seiner Freunde. Er hatte den geringsten Respekt vor Theo und bemühte sich gleichzeitig am meisten, ihm zu gefallen. Er brachte ihm Geschenke mit, die ungewöhnlich, aber ganz sinnlos und phantastisch waren, so wie etwa Bonbons, die nach Tabak schmeckten. Er schenkte ihm auch kleine Affen aus Schokolade, Patronenhülsen, einen Speckstein-Ganescha aus Indien, Treibholz, das nach Meer duftete, einen Tondrachen ohne Kopf und ein winziges Ölgemälde von Zarin Katharina, auf dem die Stadtgründerin zu schielen schien.
       Birnbaum nahm dem Knaben all diese verwirrenden Geschenke wieder ab, bis auf ein Bild, das der Dieb aus einem Gesang- und Gebetbuch für die katholische Schuljugend geschnitten hatte. Das Büchlein (genehmigt und herausgegeben vom Temesvarer Bistum) hatte Zipperstein benutzt, um sich auf einen Trickbetrug in der Kleidung eines Pfarrers vorzubereiten.
       Das Bild zeigte Jesus als kindliches Engelchen, das sich müde an das gestürzte Holzkreuz lehnte. Der Dornenkranz war abgefallen, und

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