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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Stockwerkes baumeln ließen, schimpften über den russischen Polier zwei Fenster weiter über ihren Köpfen, ein griechischer Zimmermann fachsimpelte mit einem deutschen Spengler, ein polnischer Stukkateur, der oberhalb des Portikus auf einem Balken balancierte und sich am Dekolleté einer der sechs Karyatiden zu schaffen machte, spuckte unabsichtlich einem Maler auf den Kopf, der in breitem weißrussisch einen Tartaren anfeuerte, während dieser im Hof mit einer gewaltigen Säge in der Hand einen jüdischen Glaser durch eine Grube jagte.
       Birnbaum seufzte und schüttelte den Kopf, aber der Knabe war begeistert und versuchte den Rabbiner hinter die Einzäunung der Baustelle zu ziehen.
       »Nein«, sagte Birnbaum nur streng. Seine wachsamen Augen hatten sofort bemerkt, daß sie bereits Aufmerksamkeit erregt hatten. Die stumpfen Blicke einiger müßiger Arbeiter waren an dem ungleichen Paar hängengeblieben, und ein häßliches Gespräch hatte absichtlich laut begonnen. Der Inhalt des Gespräches, den Birnbaum kannte und der seiner Meinung nach immer derselbe war, schmerzte trotzdem blutig in seinen Ohren.
       »Nein – das ist doch . . . Herrje!« hörte der Rabbi eine rauhe Stimme sagen und drehte sich angespannt zur Seite, die Hand des Knaben fester packend. Aber der seltsame Mann, der da neben ihm stand, beachtete Birnbaum gar nicht, sondern hatte seine rosigen Hände zu einem Fernrohr geformt, mit dem er einzelne Abschnitte der zukünftigen Bibliothek abzusuchen schien. Gerade als es ihm gelungen war, die Aufmerksamkeit des Jungen zu fesseln, mußte er auf einen Verrückten treffen.
       Das war Birnbaum gar nicht recht.
       Gleichzeitig ließ es ihn das Gefühl der Bedrohung durch die Arbeiter für einen Augenblick vergessen. Theo lachte plötzlich und zeigte mit den Fingern auf den Tartaren, der sich die Mütze von seinem kantigen Schädel gezogen und den erstaunlich blonden Schopf zu einer Verbeugung in Richtung des Knaben gesenkt hatte. Der Rabbi registrierte, wie die müßigen Arbeiter ihr hämisches Gespräch unterbrachen und sich wieder ihrer Arbeit zuwandten.
       »Die Möwen – die Möwen! –, sie kommen, um es anzuschauen«, setzte der merkwürdige Herr neben Birnbaum unterdessen sein Selbstgespräch fort. Er hatte das Fernglas inzwischen in den blauen Odessaer Himmel getaucht und verfolgte einen Vogel, der unschlüssig ein paar Kreise über der Baustelle drehte und dann südlich in Richtung des Meeres verschwand. Für einen Verrückten, fand Birnbaum, war der Fremde erstaunlich gut gekleidet. Er trug ein langes Jackett aus dunklem Tuch. Wie ein Kapitänsrock war es mit goldenen Knöpfen besetzt, die in einer kleineren Version auch die graue Weste darunter zierten und dort von einem gewaltigen Bauch auf die Straße gesprengt zu werden drohten. Ebenso eng wie die Weste saß eine karierte Hose an den Beinen des Herren, die in groben, staub- und lehmbedeckten Stiefeln steckten. Am meisten war Birnbaum beeindruckt von dem breiten Rücken des Fremden, auf den mit frischer Farbe ein Gitternetz aufgemalt worden war, als hätte jemand auf dieser Unterlage Schach spielen wollen. Der Rabbi überlegte, ob es unhöflich wirken könnte, den seltsamen Herrn darauf hinzuweisen.
       »Was sagen denn Sie dazu«, fragte plötzlich der Fremde, indem er sich umdrehte und den Rabbi mit einem vertraulichen Blick betrachtete, der nahelegte, daß sie schon seit Stunden in ein Gespräch vertieft sein mußten.
       »Ach, ich verstehe davon gar nichts«, antwortete Birnbaum, der den Fremden mit seinem verwilderten Schnauzbart jetzt für einen gescheiterten Schauspieler hielt.
       »Aber ich bitte Sie!« erwiderte der merkwürdige Herr und rieb sich die Nase, »Sie stehen doch schon eine gute Viertelstunde hier, Sie werden sich wohl ein Urteil gebildet haben.«
       »Ach, die Bibliothek dort – «, gab der Rabbi geistesgegenwärtig zurück und machte eine wegwerfende Handbewegung. – »Sie wird seit Jahren nicht fertig«, fuhr er fort und stutzte, weil er bemerkt hatte, daß der Fremde zusammengezuckt war, als hätte er einen Schlag empfangen.
       »Aber das ist wohl der Lauf der Welt«, fügte Birnbaum vorsichtig hinzu, »wären die Interessen der Unternehmerschaft betroffen, so hätte man das Gebäude schon zweimal errichtet. Aber es ist für die Öffentlichkeit, nicht wahr, um jeden Rubel wird gezankt, denn die Öffentlichkeit ist geduldig.«
       Der Rabbi nickte dem Fremden freundlich zu und

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