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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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schickte sich an, den Knaben, der den Mann neugierig betrachtete, wieder in seinen Wagen zu setzen. Der merkwürdige Herr jedoch schnaufte befreit und packte Birnbaums erschrockene Rechte, die er kräftig schüttelte, ohne sich vorzustellen.
       »Sie kluger Mensch«, flüsterte der Mann mit den goldenen Knöpfen gerührt, »wie recht Sie haben!«
       Birnbaum war verwirrt, und der Junge lachte aus irgendeinem Grunde schon wieder.
       »Die neue Börse«, fuhr der Fremde in vertraulichem Ton fort, »ist allerdings die einzige Ausnahme. Bernadazzi hat fünf Jahre gebraucht, auf ihn berufe ich mich, obwohl der Chef des Börsenkomitees ein Deutscher war. Aber bei ihm ging es um die Zutaten. Bendery-Stein, Carrara-Marmor und Terrakottakacheln, das findet man nicht auf dem Bazar. Bedenken Sie auch, daß die Loggia einundzwanzig Meter hoch ist.«
       Birnbaum nickte zustimmend.
       »Hier«, fuhr der Fremde hinter vorgehaltener Hand fort und deutete auf den Portikus der Bibliothek, »ist der Eingangsbereich nur halb so hoch. – Aber wird im Falle der Börse nicht ein Mondkalb angebetet? Fensterrosen wie in einem Dom, eine Vierzehn-Meter-Kuppel als Himmel, der sich über den Eintretenden wölbt – ist das nicht lästerlich –, sollte diese Art von Pracht nicht den Kirchen vorbehalten bleiben?«
       Der fremde Herr räusperte sich bedeutungsvoll. Theo, der hinter dem Hosenbein des Rabbiners gelauert hatte, beugte sich erwartungsvoll vor, um den Flüsterer näher in Augenschein zu nehmen. Er sah in das nahezu runde, von der Sonne gerötete Gesicht eines Menschen, der ihm sofort wie einem alten Bekannten zunickte. Der fremde Herr beugte seinen Rücken ein wenig. »Weißt du denn, worum es in der Architektur überhaupt geht?« fragte das Gesicht.
       »Er baut bereits Häuser, allerdings aus Schuhkartons«, versetzte der Rabbi scherzend und drückte Theo mit dem Knie beiseite. »Siehst du, siehst du«, murmelte der Fremde etwas zusammenhanglos, aber das verneinende Kopfschütteln des Knaben verlangte natürlich nach einer ausführlicheren Unterredung.
       »Um Räume geht es«, sagte der Mann dann unvermittelt und breitete seine Arme aus, »um Räume und ihre Aufteilung.«
       Dann setzte er ein schlaues Lächeln auf.
       »Was wäre denn da«, fragte er auf die Bibliothek zeigend, »wenn das Gebäude dort nicht stünde?« Theo hob die Schultern. »Nichts?« fragte er leise, und »NICHTS!« wiederholte Birnbaum, der seinem Schüler beistehen wollte.
       »Aber nein«, stöhnte der fremde Herr laut und rang die Hände. »Eben nicht NICHTS. Das ist die falsche Antwort. Ein Park wäre dort oder eine Wiese, aber eben kein Raum, nichts, worin Menschen schlafen, Tiere untergebracht oder Bücher verwahrt werden können. Es sind Räume, die eine Stadt ordnen, meine Herren, Wiesen sind dafür nicht zu gebrauchen!«
       Theo nickte betroffen.
       »Jetzt stell dir aber vor«, fuhr der Fremde fort, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, »daß du nicht drei- oder vierhundert Bücher, sondern sagen wir eine Million Bücher in einem Raum verwahren mußt. All diese Bücher sind sortiert nach Fächern und Themen in Gruppen und Untergruppen, manche von ihnen sind so wertvoll, daß sie gesondert archiviert werden, wie etwa die Tagebücher von Peter dem Großen. Es gibt Räume für das Lesen des Bücherberges, Räume für seine Pflege und Verwaltung, Räume für die Verwaltung der Verwaltung, lange Gänge mit Karteikästen, Toiletten für Besucher und Personal, unterirdische Magazine, eine Hausmeisterwohnung, eine Zimmerflucht für das Direktorium, einen Erfrischungsraum, eine Garküche, mehrere Geheimgänge für Polizeispitzel, eine eigene Zisterne und einen Raum für Ohnmachtsanfälle. Und da die Ideen über die Dauer, die erlaubt sein mag für das Auffinden eines der vielen Bücher, auseinandergehen, so sehr wie die Theorien über die notwendige Anzahl der Aborte oder der Räume, die über elektrisches Licht verfügen, und da auch die Kosten, die für Armaturen und Gipsarbeiten aufgewendet werden dürfen, strittig sind, dauert der Ausbau nun schon über ein Jahr. Ein Labyrinth ist entstanden, in dem ich mich manchmal verstecken möchte«, stöhnte der Fremde, »und ich selbst begebe mich nur mit aktuellen Plänen in das Gebäude, wenngleich ich meinen Stolz auf seine überlegene Konzeption bekennen muß.«
       Der merkwürdige Herr legte seine rosige Hand auf den Teil seines Oberkörpers, unter welchem sein

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