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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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nach menschlichem Ermessen eine Rückkehr diesmal nicht zu erwarten war.
      
      
       Das Haus am Ende der Meeruferstraße, am äußersten Rand der Oberstadt, schon fast auf Höhe der Küste gelegen, hatte einmal, im soliden Stil der ersten Siedler gebaut und herzerfrischenden Blick auf das Schwarze Meer gewährend, bessere Zeiten gesehen. Das zweistöckige Gebäude, sandfarben verputzt, mit dicken, plumpen Mauern, aus denen tiefe Fensterchen wie Schweinsäuglein herauszwinkerten, war dem wirtschaftlichen Ruin seiner früheren Mieter, zu denen Herr Wassilev gezählt hatte, und dadurch dem wirtschaftlichen Ruin seines Hausherrn nicht gewachsen gewesen. Erst recht zeigte es sich überfordert von der überwältigenden Kraft der Temperaturen, die ein Feuer verschuldet hatte, verursacht nur von einem schwächlich gestopften, nicht tief inhalierten, aber vom trübsinnig und nachlässig gewordenen Eigentümer schlecht ausgeklopften Pfeifchen. In der mittlerweile mietgünstigen Nachbarschaft gab es einige Anwesen, die ebenfalls soliden Wuchs und lustige kleine Fenster besessen, sich aber aus solidarischer Trauer ebenfalls auf die Knie geworfen hatten. Sie waren nicht mehr bewohnt und teilweise zusammengestürzt oder erwarteten diesen Zustand mangels Reparaturen dringend. Theo kannte diese Straße, obwohl sie nicht zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt zählte: Birnbaum hatte ihm eines Tages mit dieser maroden Baukunst vor Augen führen wollen, daß auch der bescheidene, nicht wie Nesturch im kreidebemalten Bühnenkostüm auftretende Architekt verdienstvolle Aufgaben finden konnte.
       Von kaum einem der noch übrigen Fensterchen in der Meeruferstraße, die jetzt schon etwas müder auf die Straße hinausblinzelten, schimmerte ein Licht. Große Aufregung war, was Kotusov und Wassilev zusätzlich beruhigte, auch vor den niedrigen Türen nicht zu verzeichnen. Die Straße gab sich nicht revolutionär, sondern war mit dem Verlust ihres gesunden Teints kleinmütig geworden.
       Mehr noch als vom Panorama, das Wassilev, ehemaliger Bewohner im ehemaligen ersten Stockwerk des Eckhauses, bewundern konnte, wenn er mit seinem bei Frauen beliebten Profil aus dem Fenster winkte, ließ sich der Kavalier vom Keller des Hauses beeindrucken. In diesem lag, wie ein Schmuggler und auf Dieb umsattelnder Zimmernachbar ihm eingeflüstert hatte, das eigentliche Talent des Gebäudes verborgen. Es bestand in einer nach oben aufklappbaren Holzluke, die durch das Fundament des Hauses Zugang zu einem schimmelfreien Keller im Kalksandstein verschaffte, der seinerseits sozusagen das Fundament der ganzen Stadt bildete. Dieser Keller besaß eine unüberschaubare Anzahl an kaltklammen Tunneln, Röhren, Schächten und Gängen, die sich, wie in einem gewaltigen in die Breite und unter die Erde gedachten Ameisenbau, bis hin auf das weit landeinwärts gelegene freie Feld vor der Stadt erstreckten. Dieser Keller hatte solche Ausmaße, daß sich alles, was ein Dieb nicht gerne im Nachtschränkchen aufbewahrte, in ihm sicher verstecken ließ.
       Seit den ersten Spatenstichen zur Gewinnung von Baumaterial waren kaum mehr als hundert Jahre vergangen. Man konnte angesichts dieser Maulwurfsarbeit nur mit Stolz auf die einstigen Steppenbewohner blicken, die eine ganze Stadt unterkellert hatten, um sie aufzubauen.
       Eingänge zu diesem Tunnelreich fanden sich an vielen Orten der Stadt. Sie waren aber aus Sicherheitsgründen immer versperrt oder geheim. Der Mut jener, die sie wiederentdeckten und in Gebrauch nehmen wollten, war stets geringer als der derer, die sie einmal in die Erde getrieben hatten. Kaum jemand, auch der bärtige, luchsäugige Schmuggler nicht, der aufgrund seines kompakten Wuchses bis in den letzten Wurmfortsatz der Kelleranlagen hätte vordringen können, war verwegen genug, länger als es der Atem einer Fackel oder Sturmlampe erlaubte und weiter als die Sicherheitsstandards für das Verwahren von Diebesgut forderten in die Unterwelt einzutauchen. So wichtig wie das eigene Leben konnte einem Dieb die Beute nicht werden. Solange der Einsturz der Höhlen und ihre Durchflutung nicht auszuschließen waren, solange Ratten im Katzenformat dort streunten und seltsame Chimären, zottelig, gelbäugig, Kreuzungen aus entlaufenen Hunden, verirrten Bergleuten und dem Teufel in persona – ausschließlich in diesem Mikroklima von der Evolution hervorgebracht – ihre einzigen Feinde waren, blieb das Tunnelgewölbe bedingt durch fehlende Erforschung

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