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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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natürlich sei, wenn man betteln und stehlen ging, sogar Schlimmeres tat, und den Erlös dieses Treibens gegen eine Schlafgelegenheit, einen warmen Bissen und ein wenig Nestwärme eintauschte. Mischka gab den Volkshelden. Er spendete großzügig den Ärmsten und hatte doch Dutzende Menschen auf dem Gewissen, so hieß es – und jetzt war ein wehrloser und dabei so begabter Waisenjunge, nein, war Birnbaums liebster Schüler Theo in die Gewalt des Räuberfürsten geraten! Und Zipperstein, der freche Handlanger dieser Kreatur, saß hier, in der jüdischen Moldavanka, Birnbaums Gemeinde, um den Rabbiner, der gegen die Entführung seines Schülers machtlos gewesen war, im Auftrag des Banditen vor aller Augen zu verspotten. Birnbaum hätte sich nicht einmal gewundert, wenn die restlichen Sitzplätze in Balaschevs Teehaus, neben den Marktplätzen eine der beliebtesten Informationsbörsen, von Mischka in einer Lotterie verlost worden wären. Wie demütigend war das!
       »Du Kneipenspucknapf!« brüllte der Rabbi Theos Ohren versiegelnd wieder. Zipperstein sah sich vorsichtig um, seine eleganten Finger auf dem verschlissenen Tischtuch zitterten leicht. Er hatte befürchtet, der Alte würde leidenschaftlich werden. Aber warum gerade gegen ihn? Keinem Juden war wohl dabei, öffentlich von einem Rabbiner beschimpft zu werden, nicht einmal einem Dieb. Gefährlicher als die lästigen Tiraden, die er sich heute und in den letzten drei Tagen von Birnbaum hatte gefallen lassen müssen, war dessen Mangel an Umsicht. Man lauschte gerne in diesem Teehaus, zumal wenn ein Rabbi, ein Dieb und ein weißblonder Junge mit blauen Augen am Nachbartisch saßen. Der alte Mann war imstande, Theo und sich selbst zu schaden, wenn er, wie Zipperstein vermutete, aus gekränkter Eitelkeit gegen den mächtigen Japonchik Stimmung machen wollte. Viele fromme Juden im Viertel achteten den Rabbi vom Land, aber alle geistliche Macht in der Moldavanka endete vor dem Lauf von Mischkas Browning. Das Japanerchen, dachte Zipperstein, war zwar ein Mörder, aber kein Unmensch. Er arrangierte sich mit der Gemeinde in der Weise, daß er die Grundsätze ihres Glaubens respektierte, aber die eigenen befolgte. Niemand konnte behaupten, der Räuberhauptmann hielte nicht zu den Juden, auch wenn er die reichsten von ihnen schröpfte – denn er wußte, sie alle hatten dieselben Feinde. Geduldig begann Zipperstein dann, Theo mitunter als Zeugen anrufend, Vorurteile zu beseitigen. Er sprach davon, daß Japonchik half, den jüdischen Widerstand zu organisieren. Er nannte die Wohngelegenheit über dem Elefanten eine Kolonie verdienter Mitarbeiter. Er wußte zu berichten, daß Mischka Vater und Mutter ehrte. Und er erwähnte auch, nachdem ihm Theo, von Birnbaum unbemerkt, Zeichen gemacht hatte, daß der Räuber eine Schule fördere und plane, den Jungen dorthin in Ausbildung zu geben. Orchestriert von Theos gesprächigen Händen, ließ Zipperstein durchblicken, Förderung für Jankel Salomoniak, dem in die Jahre kommenden Sorgenkind, sei ebenfalls zu erwarten, der Knabe habe das eingefädelt. Und all diese Wohltaten seien als Teil selbstloser Aufbauarbeiten anzusehen, keine Gegenleistungen wären gefordert worden, weil Japonchik seiner prominenten Stellung in der Gemeinde entsprechend dem durch das Pogrom verwüsteten Viertel zu Diensten sein wollte.
       Birnbaum hatte mit unbewegter Miene zugehört und dabei geschwiegen, schwieg noch immer, als der Dieb längst geendet hatte und aus Furcht vor weiteren Entgleisungen des Alten nervös zu werden begann.
       »Aber er ist ein Gauner und eine Schande für unseresgleichen! Er schneidet kleinen Kindern die Ohren ab! Er ist ein Ferkel!« kreischte der Rabbi plötzlich wie von Sinnen. Theo hielt sich selbst die Ohren zu. Zipperstein setzte jetzt sein gleichgültiges Kartenkünstlergesicht auf, was bedeutete, daß ihm der Kragen geplatzt war. Noch nie hatte er so hartnäckig für seinen Arbeitgeber gelogen wie in den letzten Minuten, und dann war doch alles umsonst gewesen.
       »Und? – Warum gehst du dann nicht zur Polizei?« fragte er den Rabbi nüchtern. »Zur Polizei?!« schrie Birnbaum entrüstet, »aber Moisei Wolfowitsch Winnizkij wird doch kein besserer Mensch dadurch, daß man ihn erschießt!«
       Als wäre es ihm wichtig, den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu bestätigen, trat kein Geringerer als der Räuberfürst selbst in diesem Augenblick durch die Tür von Balaschevs Teehaus, steuerte gefolgt von Herrn

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