Trojaspiel
die verschlossenen Zimmer, die Selbstmorde zählen, beweisen das.
Die Gruppe verschwindet, für einen Augenblick glaube ich, Lauras Gesang zu hören.
Aber ein neuer zorniger Mann tritt auf, eine zusammengerollte Zeitung in der Hand. Er macht seine Schritte ruckartig, stürmt auf ein Ziel zu, hält plötzlich inne, spricht in Richtung einer Bank.
»Ich hätt die Fotze aus dem Fenster werfen sollen«, klagt er.
Sein rechtes Auge ist blutunterlaufen, das Gesicht stark zerkratzt. Er dreht sich um, in einer geduckten, sprungbereiten Haltung, sein Blick wischt über die Bänke.
»Ich hab sogar meinen Scheiß-Job verloren!« brüllt er jetzt, um die Welt oder wenigstens uns anzuklagen. Aber die Situation bleibt harmlos. Es ist wie mit Hunden, man muß nur den Augenkontakt vermeiden. So bleibt die Energie bei ihm, bleibt sein Problem. Die Frauenrunde taucht wieder in meinem Blickfeld auf. Der Mann dreht sich blitzschnell um, als er die immer noch keifende Stimme der Ausgemergelten hört. Er stürmt auf die Gruppe zu, umtänzelt sie. Beziehungsprobleme, ich wußte es. Die Freundinnen schützen das Mädchen, es kreischt jetzt hysterisch. Der Mann fuchtelt mit der Zeitung, führt Florettstiche aus, wenn er einen Zwischenraum findet. Aber der Frauenpanzer steht geschlossen und wirkt dabei merkwürdig unbeeindruckt, wie der Rest der Anwesenden im Dreieck. Droht die Eskalation? Ich und der Professor berufen uns auf niedrige Verantwortungspegel, zusätzlich greife ich zu meinem Mittel. Das Geschrei wird erwartungsgemäß lauter. Ich erkenne das Unterhaltungspotential der Szene. Der Mann mit der Zeitungspatsche tanzt die zurückweichende Damengruppe an. Ein Basse Danse in zeitgenössischer Choreographie. Dann macht das dürre Mädchen einen Ausfall, stürmt unerwartet auf den Zeitungsmann vor. Zu meinem Erstaunen schreckt er zurück, hält die Arme vors Gesicht. Sie schlägt auf ihn ein, er läßt erstickte Flüche hören. Das sieht man selten.
Noch einmal höre ich Lauras Stimme. Jetzt kein Zweifel mehr, alle Mittel auf diesem Platz könnten eine so überzeugende Täuschung nicht bewirken. Und dann sehe ich sie das Dreieck betreten, unverkennbar in ihrer putzigen Aufmachung. Die zu langen, mehrfach umgeschlagenen Cordhosen, die Steppjacke, einer ungeschickt verarbeiteten Pferdedecke ähnelnd, ihr schmales Gesicht, heute blaß, in dem hellbraune Augen unsicher leuchten, alles hatte sich mir nach verstohlenen Blicken durch den Türspalt so wirksam eingeprägt wie ihre Stimme. Sie läßt sich auf einen Wortwechsel mit der Frauenclique ein, lächelt dabei, und ihre Struwwelpetermähne, braune Locken, eine Explosion in eine Frisur übersetzt, wird leise vom Wind gestreichelt. Die Ausgemergelte läßt unterdessen von ihrem Opfer ab, beginnt, alle Aufmerksamkeit Laura zuzuwenden. Natürlich keift das dürre Mädchen schon wieder. Manchen Frauen in manchen Situationen verleiht das eine große Ausdruckskraft. Auch der Geprügelte ist wieder zu Kräften gekommen. Er geht auf Laura zu und zieht an ihrer Jacke, macht vermutlich auch unflätige Bemerkungen. Laura befreit sich gelassen. Worauf der Mann ohne Job erst einen Schritt zurück und dann einen Satz nach vorne macht, um in Lauras Haare zu greifen. Eine Rangelei entsteht, an der auch die Dürre teilnimmt. Ich verliere kurzzeitig den Überblick, muß nach meiner Papiertüte greifen. Um Beruhigung geht es, oder um das Gegenteil, jedenfalls rast mein Herz. Trotzdem stehe ich langsam auf, allerdings nur, um mich gleich wieder zu setzen. Der Mann hat mit der Zeitungspatsche ausgeholt, eine Geste, die in ihrer Lächerlichkeit versöhnlich wirkt und mich momentan beruhigt. Laura scheint diese humoristische Einlage mitzuspielen, denn sie schreit übertrieben, als sie von der Patsche erst am Arm, dann im Rücken getroffen wird. Sie knickt ein, was zuviel an Übertreibung ist. Und als der Zerkratzte triumphierend über ihr steht, wieder ausholt, bemerke ich, wie die Zeitungsrolle sich von etwas löst, das wie ein Holzknüppel oder eine Eisenstange aussieht. Lauras Schrei, als der Mann sie am Kopf trifft, berührt mich seltsam, fährt mir mehr in die Brust als in die Ohren. Als ich nur noch einen Schritt entfernt bin, sehe ich das Gesicht meines Engels und Blut dort, wo es nicht hingehört. Ich greife mit links in den Schlagarm, mein rechter Ellenbogen trifft sein Gesicht, seine Zähne, was schmerzhaft für uns beide ist. Dann kommt – schon wieder – das
Weitere Kostenlose Bücher