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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Der Eßtisch aus dunklem Mahagoni mochte vielleicht sechs Meter lang sein. Mahgourian hatte ihn so decken lassen, daß wir an einem Ende nebeneinandersaßen, ich am Kopf der Tafel, er im rechten Winkel neben mir, was zur Folge hatte, daß ich mich während der gemeinsamen Mahlzeit beobachtet fühlte, ihn aber nur ansehen konnte, wenn ich den Kopf drehte. Während des Essens, das von jenem Diener aufgetragen wurde und aus einem Restaurant geliefert worden war - es gab, wie er mir erklärte, seitdem keine zahlenden Gäste mehr empfangen wurden, auch keine eigene Küche mehr innerhalb des Hauses –, machten wir Konversation.
       Mahgourian berichtete, er habe in den 60er und 70er Jahren intensiv Europa bereist, Frankreich, Italien, Deutschland, Griechenland, Sprachen lernend wie ein Student und vom eisernen Vorhang daran gehindert, die alte Heimat aufzusuchen. Er wundere sich, warum es nie eine Auswanderungswelle in umgekehrter Richtung gegeben habe, von den Vereinigten Staaten nach Europa, könne sich nicht vorstellen, was Menschen mit einer Vergangenheit von weniger als dreihundert Jahren, die Indianer ausgenommen, den Eindruck der Kulturschätze ersetzen mochte, dieser vieltausendjährigen Epoche, in der Amerika nur ein Kontinent war, eine Landschaft, eine Wüste. Um Identität ginge es, jeder, der einen Blick für Wurzeln und Ursprünge habe, müsse seine Spuren in der alten Welt suchen.
       Sein Redeschwall ermüdete mich. Ich widersprach ihm.
       »Wer fest verankert ist in seiner Vergangenheit, wer seine Heimat kennt, mag da anders denken«, beharrte Mahgourian.
       »Mir ist diese Annehmlichkeit leider nie zuteil geworden. Deswegen leiste ich mir einen anderen Luxus, nämlich den, nach Ursprüngen und Wurzeln zu forschen, denen meiner Person und denen der Schicksale, die meine Wege kreuzten und denen ich nicht ausweichen konnte.«
       »Sie meinen Ihren Vorgänger, den Selbstmörder, und seinen Freund, den Architekten? Dieses merkwürdige Genie, das gefangen auf einem Dachboden Pläne für Häuser entwarf, die es eigentlich gar nicht geben konnte«, wieder wollte ich ihn provozieren, und diesmal gelang es. Mahgourian schlug wütend mit der Faust auf den Tisch.
       »Alle Leistungen, in denen der Mensch über sich hinauswächst, beginnen mit einem Traum. Stellen Sie sich einen Höhlenmenschen vor, der unsere Stadt besichtigt, er würde seine Wahrnehmung für eine Vision oder bösen Zauber halten.Vielleicht würde er nicht einen Tag in dieser Welt überleben – und trotzdem drückt sich in ihr keine andere Kraft aus als diejenige, die ihn dazu brachte, seine Höhle einzurichten.«
       Mahgourian betrachtete mich triumphierend. Ich antwortete nicht. Sein Vergleich war nicht mehr als ein Gedankenspiel. »Aber wie dem auch sei«, lenkte er dann ein, »den Baumeister hatte es kurz vor Beginn der zwanziger Jahre in die neue Welt verschlagen, in diese Stadt. Was wissen Sie über T. L., wie Sie ihn nennen? Sie sagten, er sei eingesperrt gewesen?«
       Mahgourian hatte seine wichtigste Frage endlich gestellt und gab sich dabei äußerlich gelassen. Zurückgelehnt ließ er seinen Blick über Platten und Teller wandern, als würde er sich lediglich nicht entscheiden können, ob er noch etwas essen sollte oder nicht.
       »Gut, ich erzähle Ihnen die Geschichte: Mein Urgroßvater war ein Mathematiker, der bei undurchsichtigen Spekulationen Geld verdient hatte. Er konnte es sich leisten, die Welt zu bereisen. Von diesen Ausflügen brachte er Gäste mit, um seine Langeweile zu vertreiben. Er fördere Talente, hieß es. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, während der allgemeinen Hysterie der Generalmobilmachung, versteckte er einen dieser Gäste, einen Ausländer, auf dem Speicher.«
       Mahgourian hatte die Hände auf dem Tisch gefaltet und hörte mir angespannt zu. Ich sprach, ohne ihn anzusehen, und versuchte seine Reaktionen aus dem Augenwinkel zu erkennen.
       »Franzose? Russe? Brite?«
       Ich zuckte mit den Schultern.
       »Sie wissen nicht, welche Nationalität T. L. besaß?«
       Ich sah ihm ins Gesicht. In seiner Miene mischte sich Ungeduld mit Spott.
       »Nicht einmal seinen vollständigen Namen«, sagte ich ruhig.
       »Dann hat Sie also allein die Adresse des Hauses zu mir geführt.« Mahgourian seufzte und senkte seinen Kopf: »Sie irren sich. Soweit ich weiß, war der Baumeister Deutscher. Sein Freund und Gönner hat es mir erzählt. Schwartz, mein Vorgänger. Er war genauso

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