Trojaspiel
mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, vor der Mutter, die ihn in den Fußstapfen des Mannes auf dem Foto sehen wollte. Theo haßte ihn, und daß er sein Gesicht nicht mehr zeigte und die Kavalierspose mit angewinkeltem Bein und Spazierstock auf dem vom Muschelkalk blank geriebenen Karton zum blassen Witz verkommen war, geschah ihm recht und sah ihm ähnlich. Lisa trat jetzt statt des Nachtschrecks in Theos Träumen auf, jammerte und stritt häufig, verlangte kneifende Anproben, wurde aber von Wassilev nicht behelligt und zeigte Verständnis für den Teil von Theos Plänen, der sich mit den Ersatzvätern befaßte. Auch sie wollte seine Schätze gehoben wissen und verließ Theo, wenn er aufwachte, nur widerwillig, aber dann so gründlich, daß er sich mit frischen Tränen unter die Bettdecke zurückzog und beschloß, auch für den Stiefvater, für den Mörder Wassilev, Pläne zu machen.
Wie gewöhnlich saß Mischka schon am frühen Morgen bei leichter Arbeit, las die Odessaer Neuesten Nachrichten , den Odessaer Kurier , den Odessaer Anzeiger und das Odessaer Tageblatt , überflog einige weniger angesehene Postillen, die ihre Existenz ausgedehnten Witzseiten und Hausfrauentips verdankten.
Am meisten Freude hatte er an einer in allen vier großen Zeitungen gedruckten Nachricht, die besagte, daß auf der großen Bazarstraße und im Stadtgarten aufgrund der wachsenden Zahl krimineller Übergriffe zusätzliche Laternen aufgestellt werden sollten. Mischka begrüßte diese Maßnahmen als eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und empfahl die Lektüre dieser Neuigkeit auch seinen Mitarbeitern Mordko Gelfermann und Azriel Bruchstein, die neben ihm am Stammtisch im Monte Carlo saßen und mit unbarmherziger Miene Tee und englische Sandwiches verzehrten.
Herr Gelfermann, einer der unbeugsamsten Vollstrecker in Japonchiks Führungsstab, wies durch ein Knurren darauf hin, daß ihm zum Lesen Lust, vor allem aber die Kenntnis des Alphabets fehlte, und bekam daraufhin von Bruchstein, der aufgrund eines Jugendunfalls mit einer zu Herzen gehen Kopfstimme begabt war, vorgelesen. Mischka gähnte gelangweilt, murmelte, »zu oft schon verfehlten eine Kugel oder ein Knüppel dort ihr Ziel, trafen Unbeteiligte. Ein solches Chaos ist unökonomisch, und bringt außerdem alle Beteiligten in Verlegenheit.« Des Japanerchens Analyse fand Zustimmung, mehr Tee und weitere Sandwiches wurden bestellt, und Mischka widmete sich ein weiteres Mal den Todesanzeigen. Systematisch las er dann die solchen Anzeigen folgenden Nachrichten zu den Testamentseröffnungen reicher Verstorbener, bei denen, um Neugierige zu befriedigen, auch die Erben genannt wurden. Während des vorhergehenden Nekrologs wischte er sich nicht selten ein paar Tränen aus den Augen, trotzdem besuchte er kaum zwei Wochen später die reich gesegneten Verwandten und Nutznießer des Todesfalls, sprach ihnen Anteilnahme aus und half den Neureichen, die Last des gewonnen Vermögens zu ertragen, indem er sie um einen angemessenen Teil erleichterte. »Trauernde«, befand Mischka, »die auf einen großen Rubelberg klettern müssen, um dort still zu leiden, sind kaum widerstandsfähig und sogar dankbar, wenn ein verständnisvoller Fremder ein wenig Unterstützung fordert.«
»Eine gerechte Buße ist das«, sprach der Räuberhauptmann weiter, »denn wer soll in Gottes gerechter Welt ein Vermögen erhalten, ohne dafür gearbeitet zu haben?«
Nur einmal stieß er auf einen Erben, den kokainsüchtigen Neffen des griechischen Mühlenbesitzers Choniates, der seinem Anliegen kritisch bis ablehnend gegenüberstand. Japonchik machte ihm, weil er es bei der Unterredung an Takt und Respekt hatte fehlen lassen, mit seinem Taschenrevolver zwei Löcher in den Schlafrock aus Nankingseide und kassierte zwei Wochen später bei seinem Bruder, einem bescheidenen Buchhändler aus der Kondratenkostraße, den der exzentrische Mühlenbesitzer nicht bedacht hatte und dem der Anteil seines verkommenen Verwandten ganz unverhofft zugefallen war . . .
Theo erschien mit seinem Schatten, der auf den Namen Krasnoglaz hörte, und vertrieb Gelfermann und Bruchstein. Der Junge war aufgeregt, behielt das aber für sich und brachte, ein selbstgefälliges Geplänkel Mischkas abbrechend, das Gespräch auf den Punkt, denn Bedingungen mußten geklärt sein.
Theo verlangte Schutz und Perspektive für Birnbaum, ein Auskommen für Jankel Salomoniak, Förderung für Zipperstein,
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