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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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hatte.
       »Unser Freund Zipperstein hat sich wohl schon aus dem Staub gemacht?« fragte das Japanerchen wie von ungefähr.
       »Nein, er erledigt nur etwas für mich«, gab Theo zurück. Er hörte, wie unten die Tür schwer ins Schloß schlug und dreifach verriegelt wurde. Dann beobachtete er, wie Krasnoglaz, einen leicht kahl werdenden Gebirgskamm vorführend, die Treppe hinaufstieg.
       »Er hätte etwas für mich erledigen sollen, Monsieur«, sagte die Stentorstimme.
       »Das hat er getan«, entgegnete Theo, dem halbierten Blick des Rotäugigen, der sich jetzt neben Mischka stellte, nicht ausweichend.
       »Und?« das Japanerchen faltete die Zeitung zusammen und reichte sie Krasnoglaz.
       »Ich kann Ihnen helfen«, flüsterte Theo zögernd, dabei ein ›Aber‹ schweigend und doch klar genug andeutend. Mischka nickte seinem Adjutanten zu, dieser verschwand linkisch seine Manschetten zurechtziehend im Korridor, wußte dort nicht gleich, wohin, und erst nach einem weiteren Kopfnicken, die nächste Tür öffnend, wurde er vom lauten Hallo eines späten Gelages gastfreundlich aufgenommen.
       »Monsieur, ich gehöre nicht zu den Menschen, die Talent verschwenden. ›In jedem Menschen ist ein Schatz, den es bei keinem anderen Menschen gibt‹, sagen unsere Gelehrten. Wenn du mir also helfen willst, so werden wir deinen Schatz gemeinsam heben.«
       Schwarze Augen sahen den Jungen an, kratzten und bohrten an Theos blauem Blick, der müde war und nach Tränen aussah, taten es so behutsam und zielstrebig, wie es Räuberaugen möglich war, zwinkerten nicht und warteten geduldig.
       »Das reicht mir nicht, Onkel Mischka«, erwiderte Theo, nahm seine Mütze ab und legte sie auf ein schmales Rauchtischchen ohne bemerkenswerte Herkunft. Mischka nickte, murmelte: »So sollte es auch sein, sprich nur weiter, wenn du nicht zu müde bist.«
       Theo gähnte wirklich, nahm seine Mütze vom Tisch, stand auf und stellte sich vor das Japanerchen hin.
       »Entschuldigen Sie, Onkel Mischka.« Theos kleine Hand griff nach der breiten Rechten des Räubers, war von ihrer Zartheit überrascht, drückte und schüttelte sie.
       Japonchiks Gleichmut war schwer beizukommen. Er erhob sich ebenfalls, ließ dabei die Hand des Jungen nicht los, beschwerte Theos Schulter, verbindlicher als Zipperstein, mit seiner Linken, sagte: »Schlaf gut Monsieur, laß es uns morgen ausmachen, aber überlege nicht zuviel, glaube mir, der Alltag hier bei uns ist gut verträglich. Von außen betrachtet mag es aufregender sein . . .«
       Mischka führte Theo dann durch die gesamte Länge des Korridors, klopfte an der letzten Tür und übergab den Knaben einer untersetzten, mutig geschminkten Dame, die fest in einen Morgenrock eingeschnürt war und bei Theos Anblick von Wiedersehensfreude ergriffen die Hände rang. Das Japanerchen machte ausführliche Komplimente, wies nicht auf zu hebende Schätze, sondern beginnende Freundschaft hin, nannte Theo einen Gast und vergaß trotzdem nicht Madame Rubinov, die tagsüber das Kassenhäuschen des Elefanten beaufsichtigte, anzuweisen, ihre Kammer, an deren Ende Theos Zimmer lag und über dem beleuchteten Elefantenrüssel auf die Straße blickte, gut zu verriegeln. Die Rubinova nickte lächelnd, verriet aber mit keiner Miene mehr als mütterliche Gefühle für den Jungen. Was ihr leichtfiel, da ein eigener Sohn und die Fähigkeit, weitere Kinder zu zeugen, ihr während des Pogroms von 1903 in Kischinev gewaltsam genommen worden waren.
      
      
       In dieser Nacht weinte Theo viel, tat es diskret unter der Bettdecke, tat es, bis ihm die Tränen ausgingen, schluchzte dann, hatte immer das Bild von Lisa vor Augen, zählte auf, was er vermißte, nie wieder haben würde, und kam zu keinem Ende. In der Hartnäckigkeit, mit der er sich vorwarf, die gegen Wassilev ausgesprochene Drohung nicht tödlich wahr gemacht zu haben, lag kein Trost. Er hatte nicht nur versagt, sein Vaterersatz, der Lisa hätte schützen sollen, war auf der Suche nach ihm gewesen, nicht einmal Ljutov hatte die günstige Gelegenheit genutzt, wollte derjenige sein, der Theo großspurig heimführte, weil er mehr eitel als verliebt war und seine guten Kontakte zur Straße weidlich überschätzt hatte.
       Wäre er doch nur entschlossener gewesen oder schneller auf seinem Weg unter der Stadt. Oder weniger besorgt um das, was ihm oberhalb hätte zustoßen können . . . Vor Lisa schämte er sich, jetzt bei Räubern zu wohnen und

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