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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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»Und die Pläne dazu entstanden bereits damals, als Lenz sich kurz nach Ausbruch des Krieges – aus welchen Gründen auch immer – in Deutschland auf unserem Dachboden versteckte? Das ist absurd.«
       Mahgourian hatte seinen Kopf in die Hände gestützt und starrte auf den Tisch: »Hören Sie, ich weiß nicht, wie und wann die Pläne auf den Dachboden Ihres Urgroßvaters gekommen sind«, murmelte er. »Es gibt keinen Grund, an dem, was mir Schwartz erzählt hat, zu zweifeln. Ich weiß nicht genau, wie seine Freundschaft zu Lenz entstanden ist. Aber er hat ihn für ein Genie gehalten. Menschen mit außergewöhnlichen Visionen gewinnen manchmal Macht über uns eher bodenständige Zeitgenossen. Sie finden Unterstützung bei schlichteren Naturen, die selber Träume haben, aber nicht die Gaben besitzen, sie zu verwirklichen. Schwartz war so ein Träumer. Er hat sich eine Kugel durch den Kopf geschossen, weil er an der Realität gescheitert ist.«
       In das Schweigen, das nun folgte, mischte sich das Geräusch von Mahgourians schwerer gewordenem Atem.
       »Sie fühlen sich schuldig. Warum? Sie behaupten selbst, das Zerwürfnis der beiden habe viel früher stattgefunden. Bevor das Hotel in Ihren Besitz kam.«
       Mahgourian antwortete nicht auf meine Frage. Er hob den Kopf und sah sich mit müden Augen in seinem Speisezimmer um, als würde er auf diese Weise prüfen können, welchen Umfang seine Schuld besaß.
       »Hätte ich das Projekt ernst genommen, wäre vielleicht alles anders gekommen. Aber damals fiel es mir leicht, Menschen, deren Ideen nicht auf den Gelderwerb gerichtet waren, als idealistische Spinner abzutun. Das habe ich Schwartz deutlich spüren lassen. Ich hatte es nicht anders gelernt. Ein Verrückter, der Zylinder trägt und einen dreidimensionalen Irrgarten in einem New Yorker Hotel anlegen will. So etwas war ein Fall für die Klapsmühle.«
       »Sie haben es erst bereut, als der Hotelier, den Sie verspottet hatten, sich eine Kugel durch den Kopf jagte.«
       Mahgourian blickte auf und betrachtete mich mit einer Art gelassenen Geringschätzung. Ich war ein unreifer Junge mit einem respektlosen Mundwerk.
       »Nein«, sagte er dann, »das alles begann, als ich zum ersten Mal die verschlossenen Stockwerke betrat.«
      
      
       Mahgourian hatte von meinem Versuch erfahren, ein himmlisches Urteil zu erzwingen, auch von der Engelsrettung zwischen Parkbänken. Ein hagerer, langhaariger Weißer im Kaftan (mein Hemd regelwidrig über der Hose), so berichtete es die Presse, hätte auf dem Broadway in Midtown den Gekreuzigten gegeben, überzeugend in der Todesverachtung, jedoch nicht drogenfrei, vermutlich Halluzinant. Derselbe, wie die Nachbarschaft diskret überlieferte, der einem geistig verwirrten Mädchen beistand, das in einen Konflikt zwischen Afro-Amerikanern geraten war. Sowohl das Mädchen als auch sein Retter logierten derzeit im Palace of Troy , einem historischen Hotelbau aus den Zwanzigern, der von seinem Besitzer, einem reichen New Yorker Geschäftsmann armenischer Herkunft, als Sozialprojekt geführt wurde und jungen Leuten unentgeltlich Unterkunft bot.Mahgourian hatte sogar unserem Retter vorgeschlagen, seinen Platz unterhalb der 95. Straße mit einem bequemeren Hotelzimmer zu vertauschen. Aber der Professor, sei es aus Stolz, oder weil er glaubte, seine Lehren könnten in dunklen Gebäuden verdorren, lehnte ab.
      
      
       Meine eigenen Mängel sind aktenkundig, sogar gerichtsnotorisch, auch meine Talentlosigkeit steht außer Frage. Ich habe mich bislang durch nichts ausgezeichnet, eine ganze Vortragsreihe meines Vaters, im Familien- und Freundeskreis gehalten, weist auf diesen Umstand hin. Das Elend meines Daseins macht mich als Stammhalter verdächtig, der Kontrast zu meinen Eltern, blendend situiert, schafft Erklärungsbedarf. Er klagt den Fluß der Gene an, der nicht regelmäßig ist, so daß überwunden geglaubte Webfehler, Generationen überspringend, erneut ihr klägliches Leben beanspruchen. Verschollene oder gescheiterte Verwandte werden zur Entlastung herangezogen, von denen gibt es bei uns eine ganze Galerie: eine Insel der Ausgestoßenen und Versager, eine Strafkolonie. Man kennt sie eigentlich kaum, mich jedenfalls besser, aber in meines Vaters Welt, er ist Anwalt, kann ein gutes Plädoyer auch einer verfahrenen Sache noch aufhelfen. Und so macht er während seiner Vortragsreihe denjenigen, die es hören wollen, glaubhaft, daß er mich am Tag des

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