Trojaspiel
wird. In die Irre kann ich nicht gehen, jetzt verstehe ich Mahgourian, es gibt nur den einen Weg, auch auf den Spuren von T. L.. Ich folge dem Baumeister, so wie eine Kugel den Hang hinabrollt, so wie der Lebensweg gnädig oder unerbittlich zum Ende führt.
Zweimal bin ich kurz davor umzukehren, aber warum, das Leben selbst sieht keinen Rückweg vor. Und plötzlich erkenne ich die eigentliche Angst, die vor der Unendlichkeit des Weges, man betritt das Labyrinth mit der Hoffnung auf ein Ziel. Und weiter, der Weg ist erneut ein Kreisgang, eine Spirale, wie immer, wenn sich in schneller Folge alles wiederholt, glaubt man an ein Ende, es wird kommen, nach dem letzten Reigen, der Drehung, die nur noch eine Wiederholung war einer Wiederholung, weiter geradeaus. Atemlosigkeit, sogar Schwindel, überwältigend, auf der Spur des Baumeisters zu sein, ein Glücksgefühl, es reißt mich mit sich, drückt mich gegen Wände, preßt mich durch Korridore, wie durch einen Geburtskanal, die letzte Schleife, es führt mich an seine Seite, dann öffnet sich der Bogen auf die Mitte, das Ziel, das Ende.
Ich bin angekommen und begreife, weshalb ich hierherkommen mußte.
Ich kann es deutlich vor mir sehen.
»Es hat genau eine Stunde gedauert«, sagte ich, während Mahgourian mich musterte, als würde ich, soeben aus dem Koma erwacht, nach einer langen Zeit zum ersten Mal sprechen.
Eine ganze Weile lang, während ich dann schweigend vor ihm saß, hatte ich den Blick des Alten erwidert, ohne dabei weiter nachzudenken. Und mit einem Male war es mir so vorgekommen, als ob dieses Schräglegen des Kopfes, das man bei ihm immer wieder beobachten konnte, tatsächlich eine Form der Kommunikation mit dem Papagei war, der genau wie bei meinem zweiten Besuch in der schattigen Ecke des Raumes auf seiner Stange saß. Es wirkte wie hypnotisierend. Dann schreckte ich auf. Mahgourian begann wieder zu sprechen.
»Ist es Zufall, daß gerade dieser Papagei, der im Hotel in der Stadt lebt, mir am längsten geblieben ist? Ich habe Vögel in meiner Orangerie, manche in Volieren, andere können frei herumfliegen. Aras, Kakadus, Amazonen. Es ist wie ein kleiner Urwald. Aber dieser ist der Älteste. Er lebt hier ganz allein, wenn man von meinen gelegentlichen Besuchen und ein paar Angestellten absieht. Die anderen, die in meinem bunten Dschungel leben, haben ihre Probleme, sie zanken sich oder werden melancholisch, bekommen alle möglichen Krankheiten.«
Mahgourian räusperte sich.
»Ich glaube, er ist ein Tagträumer wie Sie. Das ist das Geheimnis seiner Gesundheit. Er hat sich zurückgezogen. ›Ich empfehle mich, meine Herren‹, sagt er, wenn er seinen Kopf schräg legt und uns mit strenger Miene ansieht. Dann schläft er einfach mit offenen Augen, so wie Sie gerade. Eigentlich ist das hier sein Büro, er lebt hier schon weitaus länger als ich.«
»Vielleicht würde er trotzdem lieber mit seinesgleichen auf einem Baum sitzen.«
Mahgourian schüttelte den Kopf.
»Nein, ich glaube, er nimmt seine Pflichten sehr ernst. Am Abend kommt er in die Voliere und kann fliegen. Aber tagsüber sitzt er im Büro. Es heißt, daß Papageien, die nicht mit ihren Artgenossen leben, die Eigenarten ihrer menschlichen Besitzer annehmen, soweit das möglich ist. Ich habe großen Respekt vor ihm, nicht nur weil er älter ist als ich. Sein Erfahrungsschatz würde Sie verblüffen. Er gehört Thorvald Lenz, dem Baumeister.«
Ich wandte mich abrupt um, der Papagei saß ruhig im Schatten, die Augen halb geöffnet. Dann drehte er seinen Kopf, ließ ein leises Krächzen hören.
»Sie reden, als würde dieser Architekt noch leben. Das ist fast unmöglich.«
Mahgourian zuckte mit den Schultern und betrachtete kokett seine kleinen von Altersflecken gesprenkelten Hände.
»Nun, warum sollte er nicht mehr leben?«
Ich dachte eine Weile nach, bevor ich antwortete.
»Aber man hat nichts mehr gehört von ihm. Ist es nicht so?«
Mahgourian hob die Hände und schob skeptisch die Unterlippe vor.
»Wer weiß, hinter welcher Identität er sich heute versteckt.
Es ging ihm nicht um Geld oder Ruhm. Nicht einmal um die Anerkennung seiner Arbeit. Er war menschenscheu. Er wollte nicht die prächtigsten oder größten Gebäude bauen. Nicht einmal die ausgefallensten. Wie das Architekten so wollen. Er nicht. Sie hatten recht, das, was da auf den Plänen gezeichnet war, konnte kein
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