Trojaspiel
größer als eine Besenkammer, seine Wände waren von angegrautem Weiß, sie glänzten, als wären sie lackiert worden. Erst wenn man sich seitlich stellte, bemerkte man, daß sich auf der linken Seite der Kammer ein halbdunkler Korridor öffnete, dessen Ende nicht abzusehen war.
»Und Sie?« fragte ich irritiert.
»Diesen Gang macht man alleine, junger Mann. Nur so hat ein solches Bauwerk für seinen Besucher Sinn.«
Mahgourian lächelte scheu.
»Um nichts in der Welt gehe ich da alleine rein.«
Ich war laut geworden und kam mir feige vor.
»Sie kennen doch die Pläne«, erwiderte Mahgourian ironisch und legte den Kopf schief.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, ich bin kein Architekt. Ich zweifle sogar daran, daß ein Architekt solche Pläne begreifen würde.«
Der alte Mann ging einen Schritt von der geöffneten Tür zurück, als würde er mich mit meinen Bedenken absichtlich alleine lassen wollen.
»In jeder Beziehung zwischen zwei Menschen kommt es irgendwann zu einem Punkt, an dem man entscheiden muß, ob man dem anderen vertraut oder nicht. Vielleicht habe ich Ihnen nicht die Wahrheit gesagt, vielleicht habe ich Ihnen etwas verschwiegen. Möglicherweise waren auch Sie in Ihren Schilderungen nicht ganz offen. Ich habe Ihnen jedenfalls vertraut. Das muß und kann ich Ihnen nicht beweisen. Auch Sie müssen mir nichts beweisen. Aber Sie sind hier. Vielleicht müssen Sie sich selbst etwas beweisen.«
Ich preßte meine Lippen zusammen und fühlte die alte Furcht vor diesem Greis wieder aufsteigen, einen Anflug von Panik sogar, den ich mit aller Macht unterdrücken mußte.
»Und wenn ich mich verlaufe?«
Mahgourian sah mich an, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen.
»Sie können sich nicht verlaufen, junger Mann.«
»Aber das ist ein Irrgarten!« erwiderte ich zornig.
»Nein«, sagte der Alte bestimmt, »es ist ein Labyrinth.«
»Das ist doch dasselbe!«
»Nein«, entgegnete Mahgourian wiederum mit fester Stimme, »das ist es nicht. In einem Labyrinth gibt es keine Wegkreuzungen. Es gibt nur einen Gang, der sie durch die Gesamtheit des Raumes führt. Sie haben keine Entscheidungen zu treffen, nur diejenige, ob Sie eintreten wollen oder nicht. Der Weg hinein und hinaus ist derselbe, es gibt nur diesen einen. Es ist eine Reise in einer scheinbar endlos langen und verschlungenen Sackgasse, wenn Sie so wollen, und darin gleicht dieses Bauwerk möglicherweise dem Leben . . .«
Mahgourian machte einen weiteren Schritt zurück.
»Und was erwartet mich am Ende des Weges, ein Ungeheuer?« Der alte Mann lächelte mich jetzt breit an.
Dann ging er davon.
Nachdem die Tür hinter mir ins Schloß gefallen ist, höre ich meinen Atem. Die Knie zittern und es fällt mir schwerer, Luft zu holen. Kein Geräusch mehr von jenseits der Tür. Ich weiß nicht, ob Mahgourian Büro oder Wohnung aufsucht oder ob er das Haus verlassen hat und nie mehr zurückkehrt. Was steht mir bevor? Ich erinnere mich an das, was ich auf dem Dachboden unseres Hauses entdeckte, bevor ich die Pläne gefunden hatte. Etwas Unbegreifliches.
Ich gehe den Korridor entlang und lausche auf das Geräusch meiner Schritte. Unterschiedliche Töne, mal dumpf und hohl, dann wieder hart und klar, ein schwingender Holzboden wechselt mit festem Estrich. Nach der zweiten Kehre folgt eine Steigung. Das verkleidete Licht an der Decke teilt einen Korridor jeweils zur Hälfte. Zweimal habe ich mich auf die Mitte des Raumes zubewegt, jetzt geht es erneut zu den Rändern hin. Das glaube ich oder ahne es, denn meiner Orientierung in fremder Umgebung ist nicht zu trauen. So wie den Gängen nicht, die scheinbar zweckmäßig sich in die Länge ziehen, dann eine Wende und die Umkehr in einem parallelen Tunnel fordern, schließlich ansteigen, sich wieder abfallend schrägen, in eine Spirale münden. Fast vorsichtig gehe ich hinunter, beschleunige dann meinen Schritt, um dieser Konstruktion, die ich nicht gliedern oder ordnen, nicht in Koordinaten zwingen kann, als wäre sie lebendig, meine Furcht zu verbergen.
Welcher Teil des Gebäudes es ist, welches Stockwerk, durch das ich eile, vom Klang meiner Schritte verfolgt, ich weiß es nicht, wüßte es gerne, auch wo das Zentrum liegt oder mein Ziel, das Ende, wohin der Weg führt, oder ob er nur wegführt vom Ausgang oder dem Ort der Ankunft, um des Weges willen, der das eigentliche Ziel genannt
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