Trojaspiel
brechen drohten, auf die Eisenbahn verlegen wollen). Bei jener Gelegenheit hatte er Gepäckstücke gesehen, die denen des Herrn Giocondo in der Anmutung exotischen Luxus ähnelten, wenngleich er zugeben mußte, daß diejenigen des Herrn Giocondo, obwohl sie natürlich kein kaiserliches Wappen trugen, bei näherer Betrachtung noch gediegener aussahen.
Sowohl die Sattlerarbeiten des größeren Gepäcks als auch die Leistungen des Feintäschners bei den Köfferchen und Mappen, Necessaires und Etuis zeugten von wahrhaft meisterlichen Fertigkeiten, nur feinste Ledersorten waren verwendet worden, Straußenleder, feines Maroquin und ein mit einer seltsamen, kautschukähnlichen Schicht überzogenes Schlangenleder. Jede Naht war millimeterfein, jeder Ansatz so paßgenau, daß man sich nicht vorstellen mochte, daß diese Kostbarkeiten aus den stinkenden Häuten von Tieren zusammengesetzt waren. Sie wirkten so glatt und perfekt, als wären sie so und nicht anders direkt aus dem Himmel gefallen. Selbst Beamte oder gerade sie wollten solche Perfektion dem gewöhnlichen Fleiß eines Handwerkers nicht zutrauen. Die Beschläge, die Schlösser, Bügel, Schienen, Schnallen und Scharniere waren aus Messing, aus Horn und Elfenbein, auch pures Gold war verarbeitet worden (die Beschläge einer Zigarrenkiste, davon später). Was aber den ermittelnden Beamten auffiel, war, daß all diese Gepäckstücke in Farbe und Gestalt nicht recht zusammenpaßten, als wäre jedes von ihnen ein Einzelstück, aber nicht Teil einer von einem durchgängigen Geschmack geprägten Kollektion. Keine Linie, keine erkennbaren Muster, urteilte Blüthgen, als wäre Giocondo ein Gepäck- oder Galanteriewarensammler, ein Kauz oder gar ein Dieb, dessen Gelegenheiten immer das Beste, aber aus immer anderen Provenienzen versammelt hatten.
Hieran würde man sich, ahnte der Kriminalist, möglicherweise die Zähne ausbeißen.
Diesen Gedanken fing die Hand auf und schrieb ihn zäh und widerwillig in den Notizblock, eine Geste, die berechnende Psychologie war gegenüber dem tappenden Staunen der jungen Mitarbeiter und außerdem Ausdruck seiner Gewissenhaftigkeit. Blüthgen war der Überzeugung und damit seiner Zeit, ohne es zu wissen, weit voraus, daß ein Tatort stets alle Informationen versammelte, die notwendig waren, um den Täter als Person zu erkennen – die Ermittlung des Verbrechers freilich stellte eine weitere Herausforderung dar. Jedes Gesicht erzählt eine Geschichte, wußte er, und jeder Ort, also auch jeder Tatort, durch menschliche Gegenwart geprägt, hatte ein Gesicht, das man lesen konnte, dies zu lernen machte die Kunst seines Berufes aus.
Dann aber folgte jene Entdeckung, die den Fall weit über die Grenzen des Städtchen hinaus bekannt machen sollte und die zunächst die denkerische Gelassenheit aller beteiligten Polizisten vollständig vernebelte. Selbst – was nicht vorgesehen war und wofür sich der Kriminalkommissar Blüthgen später schämte – der Tatort veränderte sozusagen sein Gesicht, zunächst dadurch, daß die Beamtenwitwe schrie, bis die Scheiben klirren wollten, dann rot und schließlich bleich wurde, worauf ein Ohnmachtsanfall die Unglückliche gegen den Schrankkoffer sinken ließ, der daraufhin dröhnend auf den Parkettfußboden kippte. Auf diese Weise zerbrachen etliche Flakons, Porzellangefäße und Parfümflaschen, die der Schrankkoffer auch enthalten hatte, ebenso eine Flasche Cognac, und die Frage der Absonderung und Trennung verdächtiger Substanzen, die jene Behältnisse enthalten hatten, konnte nicht mehr zur völligen Zufriedenheit geklärt werden. (Allein ein Mörser und eine emaillierte Schale auf der Fensterbank sollten bei der bald folgenden großen Untersuchung noch dienlich sein.) Auch weil kurz darauf – entgegen zahlreichen ernsten Mahnungen – die reinliche Witwe in dem Bedürfnis, alles, was noch an Herrn Giocondo erinnern konnte, aus dem Zimmer zu entfernen, den übelriechenden Sud und die Scherben vom Boden aufgewischt hatte.
Aber damit noch nicht genug. Der jüngere Kriminalbeamte, der als zartbesaitet galt, in seiner Freizeit Käfer und Schmetterlinge sammelte und zur Polizei gekommen war, weil er in sein kerniges, irgendwie militärisch aussehendes Spiegelbild verliebt war, aber den militärdienstlichen Anforderungen nicht genügen konnte, der zweite Beamte also bekam einen regelrechten Brechanfall, spie spritzend durch die Finger seiner kleinen Hände hierhin und dorthin, bis ihn
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