Trojaspiel
vierten Tages, einfach seine Zimmer gewaltsam zu öffnen. Was man in den zwei großzügigen, zur Straßenseite gelegenen Räumen fand, versetzte die mit der Untersuchung des Falles betrauten Beamten in einige Verwirrung. Zusammenhänge traten zutage, denen die biedere Routine einfacher Polizisten in dieser kleinen Stadt nicht gewachsen war. Zunächst einmal ließ sich nicht feststellen, ob die Unordnung in Giocondos Quartier auf Nachlässigkeit, auf ein überhastetes Aufbrechen oder gar auf einen Kampf zurückgeführt werden mußte. Herr Giocondo war jedenfalls in seinen Räumen nicht anwesend, weder tot noch lebendig. Gleichwohl hatte er sein Gepäck – ein überaus prächtiges und kostbares Gepäck – zurückgelassen, was entweder darauf hindeutete oder hindeuten sollte, er habe sich keineswegs endgültig entfernt, was aber auch heißen konnte, Herr Giocondo könnte gehindert worden sein, sein Mietverhältnis jemals ordnungsgemäß aufzulösen. Und das tat er auch nicht, denn er blieb verschwunden. Mit der Sorge von Menschen, die sich aufgrund bereits erlittener Schicksalsschläge grundsätzlich an jedem Unglück in ihrer Umgebung mitschuldig fühlen, verfolgte die Witwe des Kommerzienrates Sebmann den Fortgang der Untersuchungen. Trotzdem blieb sie während der Visitation der Zimmer aufdringlich neugierig, was gewisse Verdachtsmomente von ihrer Person ablenkte. Sie hatte die Räumlichkeiten des Herrn Giocondo tatsächlich vorher nicht betreten. Nicht nur, weil sie vergessen hatte, einen Zweitschlüssel anfertigen zu lassen, und weil Herr Giocondo das Saubermachen durchaus alleine erledigen wollte, sondern auch, weil ihr italienischer Untermieter ein sehr diskreter Mensch gewesen war. Selten öffnete er auf ein Klopfen hin die Tür mehr als einen Spalt, und daß er seine Wirtin gastfreundlich ins Zimmer gebeten hatte, war nie vorgekommen. Um so mißtrauischer durchsuchten jetzt die beiden Kriminalbeamten und ein Polizeidiener die Habe ihres Logierherrn. Als erstes fiel eine Reihe von Büchern in kyrillischer Schrift auf, die sich auf Regalen, auf der Kommode und auch im Schrankkoffer des Herrn Giocondo fanden. Dann war da noch die große Eurasienkarte des Lloyd, die wie ein strategischer Plan oberhalb des Schreibtisches befestigt war. An ihr hatte man mit wütender Hand und Wachsmalkreide ein paar territoriale Veränderungen vorgenommen, denen nicht alle der davon betroffenen Staaten ohne weiteres zugestimmt hätten. So war mit energischen roten Pfeilen das Staatsgebiet des Zarenreiches nach Westen stark erweitert worden. Das deutsche Kaiserreich hatte man mit einer wüsten Schraffur sozusagen hinter Gitter gesteckt, als wäre sein weiteres Schicksal einer noch nicht abgeschlossenen Spekulation unterworfen. Während der Polizeidiener (der vorher als Knecht in den Stallungen der Garnison gearbeitet hatte) die kühne Farbgebung der Karte bewunderte, war dem dienstälteren der beiden Kriminalbeamten sofort klar, daß dieses skandalöse Hin- und Herschieben von Ländergrenzen möglicherweise eine Gesinnung von strafrechtlicher Relevanz ausdrückte, die man auf jeden Fall der politischen Polizei mitzuteilen hatte. In diesem Zusammenhang mußte auch das teure englische Fernrohr vor dem Fenster erwähnt werden, das über den östlichen Teil der Straße auf den hinter einer breiten Rasenfläche gelegenen Eingang der Kaserne gerichtet war. Nun gut, aber einstweilen war ebenfalls nicht auszuschließen, daß dieses Fernglas, mit dem jedes Fenster der etwa fünfzehn Meter entfernten anderen Straßenseite zu einem scheunentorgroßen Eingang in Schlafzimmer und Salons nichtsahnender Mitbürger wurde, eher ein Fall für die Sittenpolizei war. Herr Giocondo jedenfalls, das wurde dem leitenden Beamten, Kriminalkommissar Blüthgen, bald deutlich, war ein hochverdächtiger Mann.
Aber noch unglaublichere Entdeckungen sollten folgen. Der Schrankkoffer, die Taschen und Mappen des persönlichen Gepäcks unseres Logierherrn besaßen eine Qualität, die den Kriminalbeamten und auch der neugierig in jedes Fach, in jede Schublade und Schachtel spähenden Vermieterin fremd war. Nicht aber dem Polizeidiener, der sich an den Tag erinnerte, als seine Majestät der Erzherzog Franz Ferdinand nach einem Besuch in Berlin auf Durchreise gewesen und er als Garnisonsbediensteter zu Be- und Entladearbeiten herangezogen worden war (die Gemahlin, Gräfin Sophie, hatte Kisten und Koffer voller Einkäufe, da die Achsen des Gräf&Stift-Tourmobils zu
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