Trojaspiel
Hier war der altmodisch gekleidete greise Sonderling, der plötzlich aus dem Nichts auftauchte und scheinbar über unbeschränkte Geldmittel verfügte (die er unter anderem auch diskret für großzügige Spenden in die notorisch leeren Institutskassen verwendete), derjenige, auf den sie immer gewartet hatten. Jemand, der die richtigen Fragen stellte und die Notwendigkeit ihrer Sisyphosarbeit zu schätzen wußte: Das Bewahren und Behüten der mythischen Details über das Große und Ganze der Cash-and-carry-Welt da draußen, für die ihre Tätigkeit nicht bedeutender war als der Hausmeisterjob im Leichenschauhaus. Bis zu seinem Erscheinen.
Wer war T. L.? Mahgourian ließ wie beiläufig Andeutungen über neue Entdeckungen und Fundstücke fallen, bis er seine Schützlinge versammelte, um endlich sein frisch erworbenes Wissen vorzuführen. Immer provozierend selbstsicher, als ob er nicht hinzudichten und übertreiben würde. Ich gab mich aus Furcht vor der Treffsicherheit seiner Spekulationen desinteressiert, und Laura und der Professor begriffen lediglich, daß Mahgourian sich für die Geschichte dieser putzigen Stadt interessierte, während ihr eigenes Interesse allein der Gegenwart galt. Wir saßen zusammen, und unser Gastgeber spann den Faden von T. L.s Geschichte, um die Gestalt des Baumeisters aus der Tiefe seines Lebenslabyrinthes an unser Tageslicht zu zerren, oder wie er es ausdrückte: an Ariadnes Faden zu leiten, wie einst Theseus. Dann hatte unser Beisammensein etwas von den lange zurückliegenden Zusammenkünften auf Marktplätzen, unter Olivenbäumen oder am Stadtbrunnen, bei denen der von weit herkommende Weise oder Gaukler den Unterhaltungs- und Sinnbedürftigen, vornehmlich der verführbaren Jugend, seine Fabeln vortrug.
Das Bristol , jahreszeitlich bedingt unterbelegt, bot eine neutrale Kulisse für unsere oft bis in die Nacht reichenden Runden. Zack dudelte Melodien auf einem Spielzeugklavier oder studierte die großformatigen Fotobände, von denen Mahgourian jeden Tag ein paar Kilo aus Buchhandlungen und Antiquariaten schleppte. Laura saß im Schneidersitz auf der Couch, die wir ohne jeden Widerstand einfach vom Flur weg in das Bistrotischarrangement der Cafébar gepflanzt hatten.
»Unterbrechen Sie mich, wenn ich der Wahrheit zu nahe komme«, foppte mich Mahgourian, aber seine etwas selbstgefällige Ironie verklang ohne Antwort, nur Laura, die sich deutscher Vorfahren wegen während einiger Semester an meiner Muttersprache versucht hatte, verstand seine für mich bestimmten Sticheleien recht gut, schenkte mir verwirrte, sogar mißtrauische Blicke dafür. Ich versuchte, nicht allzu mürrisch auszusehen, nicht allzu leidend, etwa so, wie ich mich den Metalldetektoren am Flughafen nähere, die mich auch nackt mit ihrem Pfeifkonzert begrüßen würden, die beiden Metallplatten in meinem Schädel, die das Jochbein stabilisieren, es konnte dem Alten nicht entgangen sein, obwohl meine aufklärenden Erläuterungen knapp und geübt sind.
Der junge Mann im Krankenhaus hatte nicht einmal Papiere, warum auch. Damals war alles unbürokratischer. Es gab keine Personalausweise, Reisepapiere waren Phantasiedokumente, die man höchstens für Expeditionen in den Orient brauchte. Die Identität lag sozusagen noch in den Köpfen der Menschen, wo sie auch hingehört. Und damit wurde es schwierig. Die Sprache, die er hören ließ, war Italienisch. Der Dolmetscher erkannte allerdings irgendeinen Akzent. Wie ein Italiener sah der junge Mann aber wirklich nicht aus. Grieche, Russe? Das alte Problem. Aber sie fanden einen Fahrradführerschein in seiner Jackentasche, ein skurriles Dokument für unsere Verhältnisse. Man mußte keine Prüfung ablegen, um ihn zu bekommen, konnte ihn einfach so kaufen. Er trug eine Nummer, 2038, die auch pflichtmäßig auf der Blechplakette verzeichnet war, am Lenker des Rades, das gegenüber dem Kolonialwarenladen an einer Gaslaterne lehnte. Dieser Führerschein gehörte einem Mann namens Francesco del Giocondo, 43 Jahre alt, italienischer Staatsbürger, der nur ein paar Straßen weiter als Logierherr im Hause einer Beamtenwitwe wohnte. Herr Giocondo war vor ein paar Tagen ausgegangen und seither nicht zurückgekehrt.
Nun war dieser Herr Giocondo seiner Vermieterin, einer etwas hysterischen Witwe, bislang nicht als so ausdauernder Spaziergänger aufgefallen. Nachdem weitere drei Tage verstrichen, ohne daß er auftauchte, beschloß man am Morgen des
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