Trojaspiel
Moskau und St. Petersburg stammten, aber sie verrieten ihm, daß ein Deutscher, auf den die erwähnte Beschreibung passen würde, der jungen Sozialistin Angelica Balabanov den Hof machen würde. Dieser mysteriöse Unbekannte gab sich als Verehrer Lenins aus, schimpfte über die Gemäßigten, wie den dicken Turati und seine Frau, die Kulisciova (die beiden könnten sich ja nicht einmal über das Wahlrecht für Frauen einigen!). Aber alles das nahmen ihm die jungen Revolutionäre nicht ab, schon weil er lebte wie ein Dandy, dann als Handelsagent für ein Kontor in Berlin tätig sein wollte, aber nie arbeitete. Zur Hauptsache aber, weil er es bei der schönen Balabanova schon so weit gebracht hatte. Er würde oft im Café Greco sitzen, nur ein paar Häuser von der Deutschen Gesandtschaft entfernt, um in den Tag hineinzutrinken oder sich mit ›Geschäftspartnern‹ – auch Russen – zu treffen, die aussahen wie Diebe und Halsabschneider. Wahrscheinlich, vermuteten die verprellten Marxisten düster, sei er ein Agent der Ochrana.
Natürlich.
Und so setzte sich der fleißige Sekretär einige Tage lang in das berühmteste Café der Stadt, las ein Novellenbändchen von Tschechow und wurde von Gästen beiderlei Geschlechts angeflirtet, ohne es zu bemerken. Nach etwa einer Woche trat endlich ein riesenhafter blondgelockter Mann durch die Tür, er mochte etwa Ende Zwanzig sein, trug einen grauen Reitmantel und darunter einen zerknautschen hellen Anzug, in dem er auch übernachtet haben mußte. Am Hemd fehlte der Kragen, an Kinn und Wangen waren blutige Spuren einer mißglückten Rasur zu erkennen. Er setzte sich, ohne einen Blick auf die anderen Gäste zu verschwenden, in eine Nische, die nicht gut einzusehen war, aber die Möglichkeit bot, den Rest des Lokals zu überblicken. Der blonde Herr jedoch war mit sich selbst beschäftigt. Er zupfte an verschmutzten Manschetten, gähnte und räusperte sich, rieb in schläfriger Selbstvergessenheit seine Brust, fuhr sich mädchenhaft mit der Hand durch die Haare, pulte an blutunterlaufenen Augen und zog ungeniert den Rotz hoch. Als er diese Verrichtungen beendet hatte, begann er sie in leicht veränderter Reihenfolge von neuem und wurde schließlich von einem Kellner unterbrochen, der ihm, ohne daß eine Bestellung ausgesprochen worden war, Champagner servierte. Die Bedienung schien den Gast nicht sehr gut leiden zu können, denn der Champagnerkübel wurde nachlässig und laut auf den Tisch gesetzt. Der Kellner machte ein unwilliges, fast ärgerliches Gesicht, als er die Flasche öffnete und das Glas des Gastes vollschenkte. Der Gast bemerkte es nicht. Fahrig und mit zittrigen Händen begann der Hüne jetzt, seine Taschen zu durchsuchen, den Blick unruhig, sogar ängstlich in den Raum gerichtet, ohne jemanden Bestimmten anzusehen. Endlich hatte er ein silbernes Zigarettenetui aus seinem Mantel gefischt und öffnete es mit einer gierigen Handbewegung. Hastig zündete er eine Zigarette an und nahm sich zurücklehnend einen tiefen Zug. Sein Blick, in dem sich nervöses Selbstvertrauen zu regen begann, glitt durch den Raum, mehr, um jedermann seiner Anwesenheit zu versichern, als zu beobachten. Seine Hände zitterten noch immer. Der Sekretär registrierte jede Bewegung des Gastes und jede seiner Mienen.
Als die ersten beiden Gläser geleert waren, trat ein kaltes Grinsen in das Gesicht des Mannes. Sein unsteter Blick wurde fest, wanderte anmaßend von Tisch zu Tisch und versuchte, sich in die Augen einzelner Anwesender zu bohren, wie um sich daran aufzurichten. Aber niemand nahm von dieser albernen Konfrontation Notiz. Der Sekretär versuchte sich vorzustellen, wie dieser Kerl im Rausch die Hand des armen Giorgio abgehackt hatte. Es gelang ihm ohne weiteres. Der Knabe hatte in seinem kurzen Leben schon viele Süchtige kennengelernt. Trinker, Morphinisten, Konsumenten von Kokain und Opium. Die wenigsten von ihnen waren gefährlich gewesen. Aber er wußte sehr gut, daß der Mann im Reitmantel, der jetzt mit legerer Geste Gläser und Zigaretten ansetzte und in dessen ebenmäßigem, aber abgelebtem Gesicht mittlerweile eine rohe Selbstzufriedenheit lag, entsprechend gereizt, vor keiner Gewalttat zurückschrecken würde.
Hier im Lokal jedoch zeigte er sich jetzt, die Flasche war ausgetrunken, in galanter Haltung, vermutlich bereitete er sich auf ein Rendezvous vor. Er lächelte stumpfsinnig in den Raum hinein, nickte einzelnen Gästen zu und machte dann mit einer
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