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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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weibischen Handbewegung den Kellner auf sich aufmerksam. Statt zu bezahlen, unterschrieb er ein Billett, das man ihm vorlegte. Er stand so auf, daß es jeder hören und sehen mußte, ordnete umständlich seine Garderobe und verließ, die Brust gestreckt, herrisch ausschreitend das Lokal, ganz wie der Theaterschauspieler einen Regenten mimen würde, der sich von einer Audienz zurückzog.
       Noch bevor der Kellner den Tisch des Gastes abräumen konnte, war auch der Sekretär aufgestanden. Er trat auf die Bedienung zu, um seine Rechnung zu begleichen. Dabei studierte er beiläufig das zurückgelassene Billett. Dann verließ auch er das Café.
       Ohne Zweifel war jetzt der Wahnsinnige ausfindig gemacht, durch den mein Onkel die Hand, den Ursprung seiner Kunst und unseres Wohlstandes verloren hatte. Und dieser schäbige Kerl schien nicht einmal Gewissensbisse zu haben! Die Zeitungen berichteten wohlwollend gegenüber Giorgio, der nur durch Zufall in dieses Kellerloch von einer Kneipe geraten war usw. – von einem feigen Anschlag, vermutlich eines Konkurrenten oder eines Neiders. Genaue Personenbeschreibungen konnte oder wollte niemand geben. Giorgios Erinnerungsvermögen war nach der Tat so zerrüttet wie sein Geisteszustand. Man hatte ihm an diesem Abend immerhin sein Leben geraubt, und zwar auf die denkbar perfideste Weise: Er durfte physisch weiter existieren, um jeden Tag aufs neue festzustellen, daß er zu nichts mehr nütze war. So sah er es jedenfalls selbst. Natürlich war er für viele immer noch ein netter Kerl, und Mitleid bekam er mehr, als ihm lieb war. Aber das, wozu er seiner Meinung nach auf die Welt gekommen war, es war ihm genommen worden. Man brauchte nun mal zwei Hände, um Leder zu bearbeiten.
       Der Täter? Er war groß und vermutlich blond (verkleidet: trug also vielleicht auch eine Perücke). Er sprach Russisch, fluchte aber auf deutsch. Die übrigen Männer am Tisch schienen ›richtige‹ Russen zu sein, ihre Sprache klang ›echt‹. Aber so genau konnte Giorgio das nicht mehr beurteilen, er verstand schließlich nur Italienisch (und wenn er betrunken war, nicht einmal das sehr gut).
       Die Zeitungen empörten sich rechtschaffen, die Carabinieri nahmen ein paar große Männer fest, die blonde oder braune oder rote Haare hatten und deutsch oder russisch sprachen oder auch englisch oder schwedisch (nur nicht italienisch) und sich an Kneipenschlägereien beteiligt hatten. Den Täter konnte man jedoch nicht überführen.
       Dieser Mensch im Café, der Verbrecher, mußte wissen, daß man nach ihm suchte. Und er dankte vermutlich dem Teufel auf Knien dafür, daß der stinkende Handwerker (so reich er auch sein mochte, er hatte doch gestunken wie ein Vieh!) noch betrunkener gewesen war als er selbst. Aber irgend etwas in seinem Wesen, irgendein Dünkel, den er schon seit frühester Kindheit empfunden hatte, ließ ihn fest daran glauben, daß ihm solche Streiche erlaubt seien, daß es ihm zukam, seiner Herkunft und seiner Siegfriedgestalt, seiner Natur nach, solche Dinge zu tun und immer wieder ungeschoren davon zu kommen. Er wußte, diejenigen, die väterlich schützend ihre Hände über ihn hielten, waren davon überzeugt, daß gerade sein Mangel an Gewissen ihn für all die hohen Aufgaben, von denen das grasende Vieh um ihn herum nichts ahnte, prädestinierte.
       Was macht man also mit so einem?
       Nun, eigentlich zeigt man ihn bei der Polizei an. Aber Alessandro Bianchi hatte andere Pläne. Weitgereist und erfahren, wie er immerhin war, hatte er, der den eigenen Bruder geduldiger auszufragen wußte als die Polizei, den Verdacht, daß einer solchen Anzeige kein Erfolg beschieden sein würde, daß es dem Deutschen ohne weiteres gelingen könne, sich aus der Schlinge zu ziehen. Und das wollte er verhindern. Er wollte diesem Lumpen stellvertretend für alle Barone von Rotz beweisen, daß auch er Macht besaß.
       Der Deutsche hatte sich, als er das Lokal verließ, auf geradem Wege zu dem Haus in Trastevere begeben, in dem die Balabanova in einer bescheidenen Mansardenwohnung logierte. Er blieb dort bis zum frühen Morgen. Der Sekretär folgte ihm dann bis zu seiner eigenen Wohnung in einem schmucken kleinen Haus in der Via del Porto. In den folgenden Tagen konnte der Knabe feststellen, daß der Hüne mehrmals den Palazzo Caffarelli aufsuchte, keineswegs in der derangierten Art, in der er in Lokalen auftrat, sondern diskret, geschäftsmäßig und tatsächlich nüchtern.
       An

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