Tropfen im Ozean
Woher sollte ich überdies wissen, was dieser Typ denn erwartete? Das rumorte alles furchtbar in mir. Wieder ging der alte Mann auf meine Gedanken ein, als ob ich sie laut ausgesprochen hätte.
„Nicht schwarz-weiß denken, Kleines“, sagte er gemütlich. „Gott erwartet gar nichts von dir. Höchstens, dass du glücklich und voll der Freude bist. Natürlich darfst du Ziele und Wünsche haben... das ist nicht der Punkt. Aber du solltest deine Wünsche untersuchen, wenn sie hochkommen, denn sie sind immer ein Hinweis auf Hintergründe – durch sie kannst du dich entwickeln.“
Zweifelnd sah ich ihn an. Er sah mir direkt in die Augen - mit einem so tiefen, schönen Blick, dass ich mich erneut in ihn verliebte.
„Wieso hast du zum Beispiel J gewollt und dich in Hirngespinste verrannt? Obwohl es so weh tat? Sei ehrlich: Um dir was zu beweisen? Dass du etwas wert bist? Dass du jemand bist, der geliebt wird? Von jemanden, der aussieht wie J? Wie sehr musste er sozusagen ‚zuschlagen’, damit du endlich aufwachst? Geht das nicht auch ohne J und all das Leiden?“
Ich spürte einen fiesen Stich im Herz. Getroffen.
„Frag dich“, fuhr er ungerührt fort. „Was liegt deiner Sucht nach J denn zugrunde? Meinst du, du wärst glücklich, wenn Gott dir diesen Wunsch erfüllt hätte? Und was ist der Grund für den Wunsch, dass unbedingt dein Name im Abspann stehen muss?“
Ja, was lag dem zugrunde? Im Wesentlichen immer dasselbe: Ich wollte wer sein. Anerkennung, das Lob der anderen. Bestätigung.
„Was ist dabei, wenn man das will?“ fragte ich protestbereit. Mein ganzes Leben war ich nach Leistung und sozialer Anerkennung bemessen worden und der alte Mann trat gerade gehörig gegen die wesentlichste Säule in meinem Konzept.
„Viel. Man fördert damit das Ego. Und das Ego ist doch nur ein begrenztes, dummes kleines Teil, das dir zwar zu helfen versucht, aber es nicht wirklich kann, weil es das Große nicht sieht.“
„Aber dieses Große ist so unnahbar! So versteckt! Mich nervt das! Ich meine, wenn man etwas erreicht, ist das doch klasse! Es tut gut! Anerkennung tut gut!“
„Anerkennung ist eine Falle“, erwiderte er. „Byron Katie hat das sehr schön ausgedrückt: Sie hat gesagt: ’Kennst du das Gebet, das ich hätte, wenn ich eines hätte? Gott beschütze mich vor dem Verlangen nach Liebe, Anerkennung und Lob’ 5 . That’s it. Perfekt! Bingo!“
Sprachlos starrte ich ihn an.
„Das ist doch Quatsch“, hörte ich mich sagen. „Wie soll man denn ohne Anerkennung durchs Leben gehen? Das ist... fade! Da fehlt doch das Salz in der Suppe!“
„Ach, woher denn“, kicherte er amüsiert über mein entsetztes Gesicht. „Eher ist Anerkennung ein krank und süchtig machender Geschmacksverstärker.“
Ich sog Luft durch die Lippen. „Also, hör mal...“, begann ich.
„Schau, Anerkennung per se ist nichts Schlechtes“, unterbrach er mit Schalk im Gesicht, als freue er sich über meinen Schock. „Aber wenn sie der alleinige Antrieb für deine Handlung ist, dann wird es heikel“.
„Aber... wenn man was tut, spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle“, entgegnete ich. „Nicht nur Anerkennung, sondern auch Freude an der Arbeit... etwas Schönes entstehen zu sehen...“
„Und?“ fragte er. „Wäre das denn nicht genug?“
„Nein!“ rief ich hitzig. „Nein! Weil... weil...“
„Weil?“
„Weil es schön ist, wenn auch andere das anerkennen...“, brach es aus mir heraus und dann verstummte ich abrupt. Mir schoss das Desaster mit dem Krone-Film bei meinen Eltern in den Kopf... die Gedanken, die ich damals gehabt hatte. Ich war mir blöd vorgekommen, auf die Anerkennung von Leuten zu warten, die ich teilweise noch nicht einmal kannte. Aber trotzig machte ich weiter. „Es tut gut, wenn die eigene Arbeit geschätzt wird“.
„Heißt das, sie ist nur gut, wenn andere sie schätzen?“
„Nein...aber...es gibt Selbstbewusstsein. Bestätigung! Es macht es einem leichter, an sich zu glauben, weißt du?“
„Das heißt, du glaubst nicht an dich, wenn deine Arbeit keine Bestätigung findet? Also, immer dann, wenn du von außen keine Bestätigung bekommst, ist weder deine Arbeit noch du etwas wert? Könnte das dein Problem sein?“
Puff. Schachmatt. Und so schnell! Mit rotem Kopf sah ich ihn an.
„Worauf willst du hinaus?“ fragte ich schließlich hilflos.
Er nahm seinen Stock und stellte ihn in seiner so typischen Geste zwischen seine Knie, beide Hände auf den Knauf
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