Tropfen im Ozean
Lorbeeren für etwas einheimsen, für das er wenig bis gar nichts tut?“
„Weil das nicht das eigentliche Thema ist“ sagte er. „Weil dein Problem ganz woanders liegt. Aber je größer dein Anerkennungsdrang, desto weniger durchschaust du das – und desto schwerer findest du Eingang in dein Herz...“
„Das ist ja voll blöd“, antwortete ich. „Und unlogisch! Wenn ich Eingang in mein Herz hätte, hätte ich auch keinen Anerkennungsdrang. Aber ich habe ihn, weil ich keinen Eingang in mein Herz finde. Warum bekommt man nicht einfach Einblick, damit man wenigstens weiß, wofür man das alles aufgeben soll?“
Er lachte herzhaft. „Ach ja“, seufzte er dann „Das ist die alte Geschichte mit dem Ofen, der dir sagt, dass du ihm Holz geben musst, damit er dir Feuer geben kann. Und du sagst: Wenn du mir Feuer gibst, gebe ich dir Holz. Das ist unlogisch.“
Ich schwieg.
„Mach einfach weiter mit dem, was wir heute begonnen haben“, sagte er gemütlich. „Du wirst schon Einblick kriegen... hast ja schon ein bisschen... deine Meditation war doch so schön... und wirst immer mehr verstehen. Es ist wie Training, weißt du? Als Untrainierter kann man sich auch nicht vorstellen, einen Marathon zu laufen, aber wenn du aufhörst, zu trainieren, wirst du das auch nie.“
Wieder kaute ich auf meiner Lippe. Die Dinge schienen noch unklarer als sonst nach diesem Gespräch. Und es war anstrengend. Nach einem anderen Gesprächsthema suchend, fragte ich ihn spontan:
„Wie heißt du eigentlich? Du weißt ja auch nicht, wie ich heiße... mein Name ist...“
„Das ist nicht wichtig“, sagte er bestimmt.
„Aber... es ist üblich, sich beim Namen zu nennen“, insistierte ich.
„Alles, was wir hier tun, ist nicht üblich“, antwortete er. „Nenn mich, wie du willst... und lass gut sein. Glaub mir, ich weiß, wer du bist“.
Mit kerzengeradem Rücken saß er neben mir, die Hände auf den Knauf gestützt, seine Augen blinkten schalkhaft. Ich schwieg.
Nenn mich, wie du willst... Ja, wie denn? Willi? Otto? Mr. Bingo? Mir fuhr eine Bezeichnung durch den Kopf: „Wise old man“. WOM! Ja, so würde ich ihn nennen - solange er seine Identität nicht preisgab. Ich gluckste, während er mir einen gespielt gestrengen Blick zuwarf, wie ein Elternteil, das über den Streich eines Kindes hinweg sieht. Dann fragte er:
„Hab ich dir eigentlich schon von dem Fluss erzählt?“
„Nein“, sagte ich verdutzt. „Ein Fluss?“
„Von der Aare, die durch Bern fließt... eine Parabel fürs Leben! Die Lieblingsbeschäftigung eines Freundes von mir und seinen Bekannten war, Ausflüge auf der Aare zu machen. Sie schwammen dafür bis in die Mitte des Flusses, dorthin, wo er am breitesten und die Strömung am stärksten ist. Und wenn man an der richtigen Stelle angelangt war, konnte man sich ohne jede Anstrengung vom Wasser tragen lassen. Es war fantastisch, die Strömung zu nutzen, sich von dieser unsichtbaren Kraft vorwärts bewegen zu lassen, bis zu einem Strand, an dem andere Freunde, die mit dem Auto vorausgefahren waren, mit einem großen Picknick aufwarteten.
Aber es gab auch andere, die eher verkrampft an die Sache herangingen. Aus dem Gefühl heraus, die Kontrolle behalten zu müssen, aus Angst, die Strömung nicht zu finden, vor allem aber, sich ihr zu überlassen, schwammen sie nicht in das Zentrum der Strömung oder fanden sie nicht. Sie blieben am Rand, stießen an Äste überhängender Bäume, oder schlugen sich an Steinen. Schließlich kletterten sie, vollkommen erschöpft von diesem Kampf, vor dem Ziel aus dem Wasser“.
Unsere Blicke trafen sich. In dem seinen war wie immer dieses unsagbar tiefgründige Lächeln.
„Das Leben muss nicht anstrengend sein – es hängt einmal davon ab, von dieser Strömung zu wissen, dann, ihr zu vertrauen und dich ihr zu überlassen, verstehst du? Und: diese Menschen im Fluss hatten ein Ziel. Sie wollten erfrischt ankommen, wollten Spaß und ein gutes Picknick. Sie haben einfach die Strömung genutzt. Ego hingegen ist Anstrengung ohne Führung.“
Eine Ahnung überkam mich. Nur eine Ahnung. Die Strömung... die Instanz in uns... Gott... ja, aber wie kam ich an die nur ran?
Sorgsam legte er sich eine Decke über die Beine.
„Das kommt mit der Zeit... und die musst du dir geben. Es ist eine hohe Kunst, Dinge aus Freude und aus keinem anderen Grund heraus zu tun. Ghandi hat gesagt: Was immer du tust, ist unbedeutend, doch es ist wichtig, dass du es tust. Du verstehst das,
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