Tropfen im Ozean
sich oft Sorgen, war in ihre Belastungen verstrickt, klar, sie machte die Buchführung, so wusste sie genau, wie es um sie stand, und sie bekam immer mehr Angst um die Zukunft“, erzählte Herr Krug.
„Elisabeth“, berichtete er weiter, „blickte früh durch, wo der Hase im Pfeffer lag. Sie war intelligent... sie erkannte, wenn ihr Vater sie nur mit Floskeln zu beruhigen versuchte, dass es mit der Zeit schlicht um ihre Existenz ging. Umso mehr strengte sie sich in der Schule an, umso weniger tat es Julia. Julia wollte einfach diese schöne, sorglose Welt und bekniete ihren Papa, sie auf diese und jene Party mitzunehmen, ihr dieses und jenes Abendkleid zu kaufen. Und obwohl das Geld so knapp war, gab ihr Vater nach, weil er feststellte, dass er eher bemerkt wurde, wenn er mit Julia unterwegs war, dass die Geschäftsmänner auf ihn zukamen, wenn er seine Tochter dabei hatte“.
„Und E!Liza?“ fragte ich beklommen. „Wie hat sie sich gefühlt, als ihre Schwester ihr dauernd vorgezogen wurde?“
„Lisa ist ein erstaunliches Mädchen“, antwortete Herr Krug. „Deswegen mag ich sie so sehr. Ich hab sie ja hier in der Schule kennen gelernt, sie war in meinen Volleyballstunden und ich hatte sie auch in Mathematik. Wenn Lisa eines kann, dann rechnen. Sie ist eine Strategin, in der Lage, alle Möglichkeiten zu abzuwägen, die geborene Schachspielerin. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Klar hat sie das wahrgenommen, aber weiterhin auf Leistung gesetzt. Mag sein, dass es ein Ausgleich war, eine Kompensation, dennoch meine ich, dass bei ihr mehr als das dahinter steckte. Sie hat akzeptiert, dass Julia nun mal die ist, die Aufmerksamkeit bekommt. So hat es zumindest auf mich gewirkt. Julia war immer die, die sich die falschen Männer aussuchte und dann zu ihrer großen Schwester rannte, wenn sie unglücklich war. Lisa hat sie nie abgewiesen, nie. Ich kann mich an eine Situation erinnern, als ich die beiden mal auf der Straße traf, ich hatte eine Bekannte dabei, die Julia anstarrte und so stillos war zu sagen: „Du bist so viel schöner als deine Schwester“. Und als die Dame gegangen war, hat Elisabeth einfach den Arm um ihre Schwester gelegt und ich hörte, wie sie Julia ins Ohr flüsterte: ‚Ich liebe dich, Julia’“.
Er presste die Lippen zusammen. Und ich hing an denselben. Betroffen, schon von seinen ersten Sätzen. Ich wusste genau, wie man sich fühlte, wenn die Leute so etwas zu einem sagten, wenn man ständig übersehen wurde. Tausend Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum und ich wünschte, ich hätte Zeit, sie zu sortieren. WOM hatte immer gesagt: Gott ist überall, in jedem Song, in jeder Situation, in jedem Menschen, in jedem Satz. Es ist nur entscheidend, mit welcher Einstellung du dich ihm näherst. Und hier war er und redete mit mir.
„Haben sich die beiden...“ ich musste mich räuspern, weil mir die Stimme wegknickte. „... die beiden haben sich gut verstanden?“
„Ja, sie waren ein Herz und eine Seele“.
„Waren?“
„Bis diese Sache passierte“. Er lehnte sich zurück. Schloss die Augen. Kurz checkte ich die Kamera, ging auf Zoom, machte ein paar Detailaufnahmen von diesem knurrigen Gesicht, das eine so mitfühlende Seele verbarg. Das rote Licht leuchtete und fing das tiefe, beredte Schweigen im Raum ein.
„Julia war... wie schon erwähnt... nicht sehr wählerisch im Umgang mit Männern. Sie erwischte die Alkoholiker, die Mega-Aufreißer, dann einen verheirateten Mann. Und das Schlimme war, dass keiner in ihrem Alter war, es waren keine Jungs... sondern erwachsene, ältere Männer. Gigolos. Arschlöcher, wenn Sie mich fragen. Sie war 13, als sie auf die ersten Partys mitdurfte und 15, als sie ihre ersten Liaisons hatte. Vielleicht hat sie die Ermahnungen ihres Vaters, nett und freundlich zu sein, zu wörtlich genommen. Tatsache war, dass sie zu nett und freundlich zu ihnen war – im Gegensatz zu den Männern. Die machten Hänsler Hoffnungen auf Aufträge, nur um mit seiner Tochter in Kontakt zu kommen. Dann speisten sie ihn entweder mit Kleinaufträgen oder mit Ausreden ab... während sie sich mit Julia abgaben. Es war immer das Gleiche: Diese Männer waren verheiratet, hatten selbst Kinder, wollten natürlich nicht, dass die Beziehung bekannt wurde. Sie haben Julia früh gedroht, ihren Vater zu ruinieren, wenn sie auch nur einen Ton sagen würde. Julia geriet unter Druck... und in die falsche Gesellschaft. Als sie 16 war, zog sie von zuhause aus – das war kurz
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