Troposphere
nicht eine Geschichte darüber, wie er bewaffneten Männern die Stirn geboten hat.
»Pardon?«
»Du hast erzählt, als einer der Männer dem anderen sagte, er solle in die Kapelle gehen, hätte der geantwortet, er würde irgendwas verlieren, wenn er das täte. Kannst du dich erinnern, was es war?«
»Ähm … ja. Es war ein kurzes Wort, glaube ich. Drei Buchstaben.«
»Tut mir leid. Es gibt keinen Grund, warum du dich daran erinnern solltest.«
»Doch, ich erinnere mich doch. Das Wort lautete ›Kid‹. ›Ich verliere mein Kid.‹ Das hat er gesagt. Aber ich weiß nicht, was es bedeuten soll. Hast du irgendeine Idee?«
Kapitel siebzehn
Nach dem Essen geht Adam mit mir hinaus in den Kreuzgang, damit ich eine Zigarette rauchen kann. Der Kreuzgang hier besteht aus einem kleinen grasbewachsenen Hof – derzeit mit Schnee überzogen –, der von vier schmalen, mit grauen Steinen gepflasterten Gehwegen umgeben ist. Adam erklärte, es ist so, als wäre man draußen drinnen oder umgekehrt. Als ich ihn danach fragte, war er sich nicht sicher, ob das Rauchen im Kreuzgang tatsächlich erlaubt sei, aber hier kümmere sich ohnehin niemand um die Gäste. Deswegen stehe ich jetzt hier und sauge giftigen Qualm in meine Lungen, dabei denke ich an den Kreuzgang im Russell College und dass die Leute ihn nur nutzen, um darin zu rauchen: Die meisten Studenten denken vermutlich, dass Kreuzgänge ausschließlich dafür da sind.
»Du bist still«, sagt Adam, gegen einen steinernen Pfeiler gelehnt.
»Ich komme mir hier nur so fehl am Platz vor«, sage ich. »Als ob ich jeden Moment wegen Rauchens oder Fluchens vom Blitz getroffen werden könnte. Oder schlimmer noch – weil ich mir Sorgen über so blöde Dinge mache wie: wegen Rauchens oder Fluchens vom Blitz getroffen zu werden, während ich in Wirklichkeit ein schlechtes Gewissen wegen deines Gesichts haben sollte, und weil meine Anwesenheit hier euch alle in Gefahr bringt und … Und bei alledem muss ich mir auch noch Gedanken darüber machen, wie ich hier wegkomme und wo ich hin soll.«
»Du könntest einfach hierbleiben«, sagt Adam.
»Das kann ich nicht. Ich muss jemanden finden.«
Aber ich sage ihm nicht wen, und ich sage ihm nicht, was ich vorhabe, um ihn zu finden.
»Hängt das hier mit dem Buch zusammen?«, fragt er.
Ich nicke. »Ja.«
»Ich nehme an, ich darf dich nicht nach dem Buch fragen.«
»Nein. Es ist wahrscheinlich besser, du vergisst, dass es überhaupt ein Buch gegeben hat.«
Adam zuckt mit den Schultern. »Oh. Na ja, jedenfalls bin ich froh, dich wiedergesehen zu haben.«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Sieh dir doch nur an, was schon mit dir passiert ist.«
»Aber das macht mir nichts aus«, sagt er und wendet den Blick von mir ab. »Wenigstens sind es echte Schmerzen.«
»Ich weiß, was du meinst«, sage ich nach einer Pause.
»Tatsächlich?«
»Vielleicht nicht«, sage ich und stoße Rauch in die kalte Luft aus. »Aber ich habe … ich weiß nicht. Ich habe eine sehr eigene Art, die Dinge wahrzunehmen. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass ich mich hier so fehl am Platz fühle … Und bei dir übrigens auch.« Ich räuspere mich, und es scheint mir, als würde ich meine Worte zusammen mit dem Schleim und dem Dreck hinunterschlucken. Alles, was ich sagen will (und auch, was ich nicht sagen will), verdichtet sich in einem Satz: »Ich habe eine Menge schlimme Dinge getan.«
»Jeder hat eine Menge schlimme Dinge getan.«
»Ja, aber es gibt einen Unterschied dazwischen, zu vergessen, dass man seiner Großmutter eine Karte zum Geburtstag schreibt, und den Dingen, die ich getan habe. Ich …«
»Mir ist völlig egal, was du getan hast.«
Ich werde Adam nicht meine sexuellen Vorlieben erklären können, und deswegen werfe ich meine Zigarettenkippe in den Schnee im Hof, wo sie einsinkt wie das Auge eines Ungeheuers. »Ich bin ein Mensch mit selbstzerstörerischen Neigungen«, sage ich. »Oder zumindest würde die Psycho-Journaille es so nennen.«
»Selbstzerstörerisch«, sagt Adam. »Das ist ein interessanter Begriff. Ich nehme an, ich bin auch selbstzerstörerisch, aber in einem wörtlicheren Sinn. Das Tao fordert einen dazu auf: das Selbst zu zerstören und dem Ego einen Tritt zu verpassen.«
»Also kann es etwas Positives sein, wenn man selbstzerstörerisch ist?«, frage ich. »Das ist interessant.«
»Na ja, nachdem ich Gott verloren habe …«
»Du hast Gott verloren?«, frage ich und verziehe das halbe Gesicht zu einem
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