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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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mich unwillkürlich: Weiß Apollo Smintheus das auch? Weiß er von dem Tag, als das Restaurant wegen Renovierung geschlossen wurde, und dass ich aufhörte, dorthin zu gehen? Weiß er, dass ich eine Affäre mit einem Typ anfing, der sich mit mir in der Mittagspause treffen wollte, und dass ich Heidegger um seinetwillen verließ?
    Ich wünschte, ich hätte das Buch zu Ende gelesen. Ich wünschte, ich hätte es mitgenommen. Aber wer packt schon »Sein und Zeit« ein, wenn er vor bewaffneten Typen wegläuft? Ich erhebe mich aus dem Bett. Ein einzelner, antiker Bücherschrank steht an der Wand. Er hat eine Glastür, und im Schloss steckt ein kleiner silberner Schlüssel. Ich schaue durch die Glasscheibe und sehe jede Menge Bücher von Papst Johannes Paul II., darunter eins mit seinen Gedichten. Da stehen dicke braune Bibeln und dünne weiße Bibelkommentare, alle mit einer Staubschicht überzogen. Keine dicken blauen Bücher. Kein »Sein und Zeit«. Als ob ich ernsthaft geglaubt hätte, es hier zu finden. Mein Magen macht ein sonderbares Geräusch, als wäre er ein Ballon, der aufgeblasen wird. Ich muss etwas essen, wenn ich zurück in die Troposphäre gehen will. Dann muss ich herauskriegen, wie ich Burlem finden kann.
     
    Der Korridor ist dunkel und kalt. Ich kann es nicht glauben, dass ich dabei bin, Essen aus einer Prioratsküche zu stehlen. Ist es tatsächlich Diebstahl? Falls jemand wach wäre, den ich fragen könnte, würde er mir gewiss sagen, dass ich mich bedienen solle. Das sagen Leute normalerweise zu ihren Gästen, oder? Zumindest hatte ich hier keinen Geschlechtsverkehr; ich hatte im Priorat keinen Geschlechtsverkehr mit einem Ex-Priester.
    Ich frage mich, wo Adam ist. Ist er in einem der anderen Gästezimmer? Ich stelle mir vor, dass er mir im Korridor über den Weg läuft und ich alles zurücknehme, was ich früher gesagt habe. Aber ich bin mir nicht sicher, ob man alles zurücknehmen kann, was ich gesagt habe. Meine Eingeweide pirouettieren um sich selbst, als ich mir kurz vorstelle, ihn zu berühren, ihn irgendwo zu berühren. Es beginnt nicht als sexueller Gedanke, wird aber schnell zu einem. Ich stelle mir vor, mit der Zunge über seine Beine zu fahren und seinen Rücken zu zerkratzen. Als die Windungen meiner Einbildungskraft enger werden, fällt alles von mir ab. Es gibt keine Männer mit Pistolen; es gibt kein Priorat. Was würde ich in einer unmöglichen halben Stunde mit Adam, einer völlig losgelösten halben Stunde, tun wollen? Wir könnten alles tun. Wie weit würde ich gehen? Wie weit wäre genug, um dieses lodernde Verlangen zu ersticken? Scharfkantige, gewalttätige Bilder, Bilder wie zerbrochenes Glas tanzen in meinem Kopf, und ich seufze, als meine Phantasie zusammenbricht. Vielleicht wird mich nichts je wirklich befriedigen.
    Die Küchentür ist zu, aber nicht abgeschlossen. Drinnen ist es dunkel, aber der Herd strahlt immer noch etwas Wärme ab, und man kann ein orangefarbenes Glühen sehen. Ich schalte das Licht nicht ein; das vom Herd ausgehende Glühen ist gerade hell genug. Der Geruch des Eintopfs, der vorhin so angenehm war, hat seine Intensität verloren und ist eher so etwas wie die Erinnerung an eine warme Mahlzeit geworden: der plastikartige Essensgeruch, den man oft in größeren Einrichtungen wahrnimmt. Ich probiere ein paar Schranktüren aus, dann finde ich die Speisekammer. Ein Stapel großer rot-silberner Keksdosen. Ungefähr zwanzig Dosen in Gastronomiegröße mit Baked Beans. Milchpulver und Kondensmilch. Mehrere Laibe Brot. Woraus kann ich die Energie ziehen, um in der Troposphäre bleiben zu können? Ich erinnere mich an Ratgeberkolumnen aus verschiedenen Jahrgängen der Frauenzeitschriften meiner ehemaligen Mitbewohnerinnen. Komplexe Kohlehydrate. Das ist die Art Nahrung, die ich brauche. Vollkornnudeln, Naturreis. Aber ich kann nichts kochen. Ich stoße auf eine Kiste voll Obst. Ich meine mich mit Sicherheit daran zu erinnern, dass Bananen ein guter Lieferant von irgendwas sind. Ich nehme mir drei und dann nach kurzem Nachdenken das ganze Bündel. Ich kann ein paar mitnehmen, wenn ich wegfahre. Einen Laib geschnittenes Graubrot. Ein Glas Marmite-Brotaufstrich. Eine Flasche Limonade. Um Himmels willen. Ich werde mich auf eine Reise in eine andere Welt begeben und mich von Marmite, Broten, Bananen und Limonade ernähren. Der Gedanke ist absurd. Als ich im Begriff bin, die Tür zur Speisekammer zu schließen, fällt mein Blick auf noch etwas: mehrere riesige Becher mit

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