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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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hat. Dieselben Schlösser stehen mit denselben pinkfarbenen Neonschildern ringsum und sehen immer noch unmöglich aus. Die Eule schreit wieder.
    »Apollo Smintheus?«, sage ich.
    Nichts.
    Ich rufe die Konsole auf.
    Sie haben keine Wahl, sagt die Frauenstimme.
    Kann ich noch die Apollo-Smintheus-Karte benutzen?, frage ich.
    Die Apollo-Smintheus-Karte ist abgelaufen.
    Scheiße. Ich dachte, er hätte gesagt, ich könnte sie ein paar Tage benutzen.
    Ich gehe um den Platz herum, aber es ist wirklich alles geschlossen. Ich biege in eine Straße ein, die von dem Platz wegführt. Bei jedem Schritt denke ich an die »grobe Berechnung« von Apollo Smintheus, dass jede Entfernungs-/ Zeiteinheit in der Troposphäre das 1,6fache in der »wirklichen« Welt ausmacht. Was ist also ein Schritt? Wie viel Zeit brauche ich dafür? Wenn ich hundert Schritte mache und, sagen wir, zwei Minuten dafür brauche, wann werde ich dann in dem Priorat aufwachen? Wie weit würde ich gehen müssen, um das Frühstück zu verpassen? Wie weit würde ich gehen müssen, um für tot erklärt zu werden? Ich gehe weiter, an zwei Parkplätzen und einem Jazzclub vorbei. Auf der anderen Straßenseite ist ein heruntergekommenes Striptease-Lokal, schwarze, ölige Streifen ziehen sich über die weiße Fassade, als hätte es dort vor kurzem gebrannt. Keines der beiden Lokale trägt einen Namen, aber den Stripteaseclub ziert ein Schild mit Silhouetten von Mädchen, die an Stangen tanzen, den Jazzclub das Bild eines Saxophons. Der Jazzclub ist an einer Straßenecke, und Betonstufen führen hinunter zu einer Seitengasse, an deren Ende ein Kino und ein weiterer Parkplatz liegen. Keines der Gebäude scheint geschlossen zu sein. Hier gibt es keine pinkfarbenen Neonschilder. Ohne richtig darüber nachzudenken, betrete ich den Jazzclub. Aber drinnen läuft weder Musik, noch gibt es Zigarettenrauch.
     
    Sie haben jetzt die Wahl.
    Sie … Mir ist kalt, und ich muss dringend scheißen. Aber es sieht so aus, als säßen wir hier die ganze Nacht. Ed hat die Heizung voll aufgedreht, aber meine Füße fühlen sich immer noch wie Eisblöcke an. Draußen liegt Schnee, und der Wind ist auch stärker geworden. Das Schild an der Kirche auf der anderen Straßenseite klappert hin und her. Wer ist Unsere Liebe Frau von Carmel? Das Wort erinnert mich an Karamell; eine liebe Frau aus Karamell, oder so. Der Wagen riecht nach Kaffee und Junkfood. Der Boden ist voll von Sandwichverpackungen. Ich trete auf eine, und sie macht ein dünnes, plastikartiges, reißendes Geräusch.
    »Was war das?«, fragt Ed.
    »Sandwichverpackung«, antworte ich. »Entschuldigung.«
    Ed sagt nichts. Seine Augen bestehen nur aus Pupillen.
    »Vielleicht ist sie gar nicht dadrin«, sage ich.
    »Sieh mal, der Priester weiß über die Kirchen Bescheid, und sie vögelt mit ihm, stimmt's?«
    »Ja, aber …«
    »Und er kommt hierher, ›wenn etwas schiefgeht‹. Warum sollte er sie nicht bitten, auch hierherzukommen? Sie werden wissen, dass wir nichts tun können, so lange sie dort drinbleiben. Vielleicht weiß sie es eh schon. Wer weiß, wie lange sie das Buch schon hat? Sie könnte seit Jahren im Geist-Raum surfen.«
    »Ich sage dir doch, das Buch ist auf dem Weg nach Leeds.«
    »Wo ist Leeds überhaupt?«
    Ich zucke mit den Achseln. »Im Nordwesten? Es ist nicht hier in der Nähe.«
    »Mist.«
    »Wir kriegen das Buch noch.«
    »Beim letzten Mal haben wir es nicht gekriegt.«
    »Wir kriegen es.«
    Ich bin … Oh, Scheiße. Ich bin im Kopf eines der blonden Männer. Martin. Martin Rose. Okay, Ariel. Lass ihn nicht merken, dass du hier bist. Aber wie geht man auf Zehenspitzen im Kopf eines Menschen herum? Pssst. Soll ich bleiben, oder soll ich gehen? Konsole? Das Ding erscheint wie ein Diapositiv, und als ich/Martin jetzt zu Ed hinüberschaue, tummeln sich in einer Überblendung auf seinem Gesicht einige Bilder. Jemand backt etwas. Jemand anders fährt auf einem Freeway. Eine dritte Person schaut in einen blauen Himmel hinauf. Was sind das für Bilder? Ich erinnere mich an Apollo Smintheus' Dokument:
     
    Sie können Pedesis vollziehen durch Nähe in der Geographie (in der Welt), Tropographie (in der Troposphäre), Ahnenreihe (im Geist).
     
    Okay. Wenn man sich in der physischen Welt in der Nähe von anderen befindet, kann man über die Troposphäre in ihre Köpfe gelangen. Das klingt irgendwie sinnvoll. Diese Kerle sind direkt vor dem Priorat, und ich musste durch eine metaphorische Straße gehen, um sie zu finden.

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