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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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ja fragen: Warum habe ich eine Mäuseplage? Hat mich jemand verflucht? Oder habe ich einfach so viele Lebensmittel rumliegen lassen, dass sie angelockt wurden? Oder liegt es einfach in der Natur der Dinge, dass es eben Mäuse gibt?«
    Ich stecke mir eine Zigarette an. »Ich habe heute drei gefunden.«
    »Drei Flüche?«
    Ich lache. »Nein. Das wäre sehr unglücklich. Nein. Drei Mäuse.«
    »Und wo hast du sie hingebracht? Nicht wieder in den Flur?«
    »Nein. Nach draußen. In Luigis Garten.«
    Wolf fängt wieder an, davon zu reden, dass er sich eine Katze zulegen will. Nach ein paar Minuten zischt die Espressokanne auf dem Herd, und ich gieße Kaffee ein.
    »Wie dem auch sei«, sagt er und atmet langsam aus, während ich eine Tasse vor ihn stelle. »Das ist die Frage, die mich bei Flüchen interessiert: Können sie existieren, wenn wir nicht an sie glauben?«
    Ich lache. »Inwiefern unterscheidet sich das von dem, was ich gesagt habe?«
    »Es ist einfacher.«
    »Nicht, wenn du es gründlich durchdenkst.«
    Während Wolf anfängt, über Voodoo-Flüche zu reden, und davon, dass sie nur bei Leuten funktionieren, die an Voodoo glauben, stelle ich mir ein Möbiusband vor, die Form, die man erhält, wenn man die Enden eines langen Papierstreifens aneinanderklebt, den man einmal in sich verdreht hat. Man könnte auf einer Seite dieses Streifens immer weitergehen, ohne je zu merken, dass man auf eine merkwürdige Weise immer wieder die »Seite« wechselt. Genau so, wie man diese Erde einmal für eine flache Scheibe hielt, würde diese Welt flach erscheinen. Man könnte in alle Ewigkeit weitergehen, ohne zu begreifen, dass man immer wieder zum Anfang zurückkehrt und von neuem anfängt. Sogar in der Biegung würde man es nicht merken. Die Wirklichkeit würde sich ändern, aber man würde einfach auf einem ebenen Weg weiterlaufen. Falls dieses Möbiusband eine räumliche Dimension hätte, würde sich der ganze Körper mitdrehen, wenn man die Biegung durchschreitet, und das Herz wäre eine Zeit lang auf der rechten Seite des Körpers, bis man den Looping zurück macht. Ich habe das in einer der Physikvorlesungen gelernt, die ich mir auf den iPod geladen habe. Zu Weihnachten habe ich mir ein paar Girlanden gemacht, die alle Möbius'sche Bänder waren. Ich hatte vor, den ganzen Tag allein zu Hause zu bleiben, zu lesen und Wein zu trinken. Dann hatte Wolf mit einem riesigen, unförmigen Zwetschgenpudding vor der Tür gestanden, und wir verbrachten den Rest des Tages zusammen.
    »Wer oder was, wenn nicht ein Mensch, belegt etwas mit einem Fluch?«, frage ich.
    »Ha«, sagt Wolf. »Du glaubst, Flüche werden von Göttern ausgesprochen?«
    »Nein, natürlich nicht. Es ist eine rein hypothetische Frage. Kann irgendetwas in der Sprache erschaffen werden, unabhängig von den Leuten, die diese Sprache benutzen? Kann die Sprache ein sich selbst replizierendes System werden oder …« Plötzlich merke ich, dass ich betrunken bin, und halte den Mund. Aber einen Moment lang mache ich mir Gedanken über diese Idee, dass innerhalb der Sprache etwas entstehen könnte – vielleicht durch Zufall oder durch einen Irrtum –, und die Benutzer dieser Sprache müssten sich dann mit den Konsequenzen auseinandersetzen, die dieses neue Wort als Teil ihres Bezeichnungssystems hat. Ich erinnere mich vage an eine Rundfunksendung über den Heiligen Gral, in der die Ansicht vertreten wurde, die ganze Sache sei ein Irrtum: ein falsch benutztes Wort in einem alten französischen Text.
    Wir sitzen eine Weile schweigend da, draußen rattert ein Zug vorbei. Dann räume ich die Teller ab, während Wolfgang seinen Kaffee austrinkt.
    »Wie auch immer«, wende ich mich ihm zu, »du hast aber nicht gesagt, ob du es tust oder nicht.«
    »Ob ich was tue?«
    »Ob du tatsächlich an Flüche oder verfluchte Gegenstände glaubst.«
    »Es geht nicht darum, ob etwas verflucht ist«, sagt er. »Man muss herausfinden, warum es verflucht ist und worin der Fluch besteht. Lass mich das Geschirr spülen.«
    »Okay.«
    Wolf steht auf, geht zum Spülbecken und spritzt ungefähr den halben Inhalt der Spülmittelflasche über die Teller. Dann dreht er den Warmwasserhahn auf, schimpft ein bisschen, weil das Wasser nie so heiß wird, wie er es gerne hätte, schließlich setzt er den Kessel auf den Herd, um dann kochendes Wasser über das Geschirr zu schütten. Ich denke darüber nach, ob ich ihm »The End of Mister Y« zeigen soll oder nicht, beschließe dann aber, es nicht zu tun.

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