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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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zu gehen, sobald ich konnte. Aber nicht mal das habe ich hinbekommen, wie es sich gehört. Ich vermute, ein Mädchen in meiner Lage hätte still auf einer Couch sitzen, »Jane Eyre« lesen und ab und zu in ein Taschentuch schluchzen sollen, während es über die hässlichen Flecken auf seinem Leben nachdachte. Ich aber fuhr in einem Wagen ohne Steuerplakette auf dem M4 nach Oxford und hielt unterwegs an, um ein heißes Wochenende mit einem Motorradfahrer zu verbringen, mir ein Tattoo verpassen und meinen abgebrochenen Zahn durch einen silbernen ersetzen zu lassen.
     
    Ich richte mich langsam im Bett auf und fühle, wie die Enttäuschung sich allmählich verflüchtigt. Von einem Flohmarkt habe ich eine alte Kaffeemaschine mit integriertem Wecker, sodass ich im Bett liegen bleiben und starken schwarzen Kaffee trinken kann, während der Nebel aus Schlaf und Sliwowitz-Kater sich langsam hebt. Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht behaupten, den Morgen zu hassen. Ich hasse die Schonungslosigkeit des Morgens, diese Zeit, bevor das Bewusstsein das Licht einschaltet und all die hässlichen Schatten vertreibt. Igitt. Aber mein Kaffee ist okay.
    »The End of Mister Y«. Ich ziehe es unter meinem Kopfkissen hervor und beginne in aller Ruhe, die eigentliche Geschichte zu lesen. Den ersten Satz lese ich mehrere Male: Am Ende würde ich niemand sein, aber am Anfang war ich als Mr. Y bekannt. Dann lese ich weiter. Zu Beginn sitzt der Protagonist, ein respektabler Textilkaufmann, im Zug nach Nottingham. Er hat dort am folgenden Vormittag einige Geschäfte zu erledigen. In Nottingham angekommen, kann er nicht umhin zu bemerken, dass die alljährliche Goose Fair, ein großer Rummel, die Stadt fest im Griff hat. Nachdem er am nächsten Tag seine Geschäfte abgeschlossen hat, kommt er zufällig am Ort des Jahrmarkts vorbei.
     
    Ein hartnäckiger Nieselregen hing über der Stadt, als würde sie von einem feuchten Schleier sanft erstickt. Obwohl ich nie mit irgendetwas Bekanntschaft gemacht hatte, das der Goose Fair ähnlich ist, nahm ich mir fest vor, dem, was meiner Ansicht nach mit Sicherheit eine äußerst diabolische Form der Unterhaltung sein würde, aus dem Weg zu gehen, und beschloss stattdessen, ein anständiges Etablissement aufzusuchen, um dort Tee zu mir zu nehmen. Bald musste ich jedoch feststellen, dass ich, gleichsam wie durch Mesmerismus, in den Jahrmarkt hineingezogen wurde. Er umfasste Kuriositätenvorstellungen und Stände mit verschiedenen mechanischen Attraktionen und erstreckte sich, umringt von den klapprigen Fahrzeugen seines beträchtlichen Stabs an Dompteuren, Künstlern, Musikern und Schaustellern, bis zu den Rändern des Marktplatzes. Sobald ich mich innerhalb der Grenzen des Rummels befand, schien es mir, als wäre ich in eine andere Welt eingetreten, eine, die spürbar wärmer und, sobald ich mich unter dem Schutz der verschiedenen Zelte und Stände befand, mit Sicherheit trockener war als die, die ich gerade verlassen hatte. Die Neugier trieb mich weiter. Auf einem Handzettel, der an einen Pfosten genagelt war und im Wind flatterte, stand, dass Wombwells Menagerie auf dem Jahrmarkt erscheine und dass es sich um die Lieblingsvorführung der Queen handele. Andere prächtige Plakate lenkten meine Aufmerksamkeit auf spektakuläre Schauspiele wie die Frau mit den zwei Köpfen, den indischen Schlangenbeschwörer, das wunderbare sprechende Pferd, die bildschöne Tänzerin auf einer rollenden Kugel mit Kalklicht-Effekten sowie Professor Englands Flohzirkus mit einer »ganz ungewöhnlichen und völlig originellen Neuheit«: dem Flohbegräbnis.
    Der Wind ließ nach, als ich meinen Weg über den Jahrmarkt fortsetzte. Trotz der vor kurzem entzündeten Naphtha-Lampen, die in den Zelteingängen hingen und die Vorderseiten der verschiedenen Stände zierten, schien die Luft dunkler und dicker zu werden. Ein Blick nach oben bestätigte, dass die dunkelste Regenwolke, die ich je gesehen hatte, am Himmel aufgezogen war. Ernstlich darauf bedacht, nicht gründlich durchnässt zu werden, hielt ich nach einer überdachten Zerstreuung Ausschau. Kurz darauf stieß ich auf ein Wachsfigurenkabinett, vor dem Gestalten mit der kränklichsten Gesichtsfarbe standen, die mir je vor Augen gekommen war. Das schien mir alles andere als verlockend, genauso wenig wie die Verheißung des »lebenden Skeletts« direkt dahinter, und deshalb setzte ich meinen Weg bis zu einem Zelt fort, in welchem, wie mir eine junge Frau versicherte, als ich im

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