Troposphere
… ich glaube, ich habe irgendwo noch eine Zwiebel.«
»Toll«, sagt er, setzt sich an den Küchentisch und gießt sich einen Sliwowitz ein. »Gourmetmäßig.« Das ist ein Scherz zwischen uns beiden. Sehr gourmetmäßig ist schlimmer und steht für ein Essen, das so gut wie nichts kostet. (Ich kann etwas sehr Gourmetmäßiges mit Linsen anstellen; Wolfgangs sehr gourmetmäßige Mahlzeiten bestehen normalerweise aus gebratenem Kohl.)
Ich mache den Backofen auf und nehme die Kartoffeln heraus. »Ich nehme an, man könnte sagen, dass auch ich in einem Universum reich bin«, sage ich durch die dampfende Hitze hindurch. Ich stelle das Backblech auf die Küchentheke und lächle Wolfgang an.
Er zieht eine blonde Augenbraue hoch. »Hast du auch gespielt?«
»Nein.« Ich lache. »Ich hab ein Buch gekauft. Ich habe noch etwa fünf Mäuse übrig, bis mich die Zeitschrift am Ende des Monats bezahlt. Es war … es war ein ziemlich teures Buch.«
»Ist es ein gutes Buch?«
»Ja. O ja …« Aber ich bin noch nicht so weit, ihm davon zu erzählen. Ich fange an, die Zwiebel in Scheiben zu schneiden. »Oh – und die Universität ist heute auch eingestürzt.«
»Sie ist eingestürzt?« Er lacht. »Hast du sie in die Luft gesprengt? Oder was?«
»Okay, na ja, sie ist nicht direkt komplett eingestürzt, aber immerhin ein Gebäude.«
»Eine Bombe?«
»Nein. Ein Eisenbahntunnel. Unter dem Universitätsgelände. Er ist irgendwie eingebrochen, und dann …«
Wolfgang trinkt aus und gießt sich noch einen ein. »Ja, ich verstehe. Man baut etwas auf nichts, und dann stürzt es ein. Ha.« Er lacht. »Wie viele Tote?«
»Keine. Sie haben das Gebäude am Morgen geräumt.«
»Oh. Dann ist die Universität geschlossen?«
»Ich weiß nicht. Ich denke mal, es bleibt ihnen nichts anderes übrig, zumindest übers Wochenende.«
Ich gieße Olivenöl über die Kartoffeln und stelle sie mit ein paar Oliven, Kapern und Senf auf den Tisch. Wir setzen uns.
»Na, wie ist das Leben so?«, frage ich ihn.
»Das Leben ist Scheiße. Kein Geld. Zu viele Mäuse. Aber ich habe meine Nachmittagsschicht wieder.«
»Phantastisch«, sage ich. »Was ist mit Wieheißtsiedochgleich passiert?«
Vor ein paar Monaten war ein begabtes Mädchen vorbeigekommen und hatte ein paar von Wolfgangs Schichten übernommen. Aus ihrer Perspektive muss die Geschichte aufregend gewesen sein: Ein Teenager bekommt die große Chance, in der Öffentlichkeit Klavier zu spielen. Aber es bedeutete gleichzeitig, dass Wolfgang seine Miete und seine Rechnungen nicht bezahlen konnte. Also hörte er auf, seine Rechnungen zu bezahlen.
»Reitunfall.«
Ich lächle, während er ins Detail geht. Ich höre nicht richtig zu, ich denke über das Buch nach.
»Oh … Wolf?«, sage ich, sobald wir mit dem Essen fertig sind.
»Was ist?«
»Glaubst du an Flüche?«
Er sieht mich an, den Kopf leicht zur Seite geneigt. »Flüche? Was für Flüche?«
»So was wie ein verfluchter Gegenstand. Kann etwas verflucht werden?«
»Interessante Frage«, sagt er. »Man könnte behaupten, dass alles verflucht ist.«
Ich hätte mir denken können, dass er die Frage aus dieser Perspektive betrachten würde. »Ja, aber …«
Er gießt uns Sliwowitz nach. Ich stehe auf, um Kaffee zu machen.
»Du könntest auch fragen, warum Flüche überhaupt existieren. Was ist ihr Zweck? Ich frage mich das selber schon seit langem, spätestens aber, seit Catherine mich zum ersten Mal in Wagner geschleift hat.«
Wolf hat eine Freundin, die es sich zum Ziel gesetzt hat, etwas für seine »Bildung« zu tun, indem sie ihn mit in die Oper nimmt.
»Ich vermute, wir sollten vielleicht zuerst ›Fluch‹ definieren«, sage ich. »Ist es ein Wort oder eine Sache?«
Wolfgang stöhnt. Wir hatten schon genug Gespräche, die auf diese Weise begonnen haben. Normalerweise finden wir uns schnell in einer hitzigen Diskussion über Derrida und différance wieder.
»Hör auf. Bitte. Fang nicht an, mich mit deinem französischen Dekonstruktivismus zu quälen. Tu einfach mal eine Minute lang so, als gäbe es etwas, das Fluch genannt wird, und als existierte es und als wäre es eine Sache. Woher kommt sie? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen.«
»Müssen wir das?«
»Ja. Ist es etwas Magisches, oder ist es eine Prophezeiung, die wahr wird, weil man dafür sorgt, dass sie wahr wird? Oder ist es vielleicht sogar überhaupt nichts, nur eine Art, schlimme Dinge zu erklären, die uns im Grunde zufällig zustoßen? Ich könnte
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