Troposphere
Geschwindigkeiten. Ich kann mir die Geschwindigkeit von Licht vorstellen. Ich kann mir das Zehnfache der Lichtgeschwindigkeit vorstellen. Das Einzige, was ich mir nicht vorstellen kann, ist unendliche Geschwindigkeit … Das ist es, was Apollo Smintheus gesagt hat, nicht wahr? Oder hat er nur gesagt, dass die Gleisstrecke des Zuges unendlich sei? Egal, was wäre denn, wenn wir mit unendlicher Geschwindigkeit führen? Obwohl ich es mir nicht recht vorstellen kann (worum es beim »Unvorstellbaren« ja wohl eigentlich auch geht), würde etwas, das mit unendlicher Geschwindigkeit fährt, tatsächlich an jedem Punkt, an dem es vorbeikommt, zu stehen scheinen. Etwas, das mit unendlicher Geschwindigkeit in einer Schleife fährt, müsste doch mit Sicherheit überall gleichzeitig sein. Vielleicht mehr als einmal, wer weiß? Also muss ich vielleicht nicht auf meinen Bahnhof warten. Vielleicht ist mein Bahnhof einfach da, dort draußen, und ich muss ihn finden.
Ich will nicht aus dem Fenster schauen, aber ich tue es trotzdem. Jetzt sind meine eigenen Ängste wieder deutlich zu sehen. Alles, was ich je geschrieben habe, brennt. Jemand radiert meinen Namen aus jedem Dokument, in dem er je gestanden hat. Ich weiß nicht, wo diese Bilder herkommen. Sie scheinen willkürlich zu sein, aber vielleicht … Ich versuche, wieder an Adam zu denken, und schon ist er da vor dem Fenster und fickt meine Mutter. Er fickt meine Mutter und sagt zu ihr: »Wer ist Ariel? Ich kenne niemanden namens Ariel.« Er scheint sich umzudrehen und mich zu sehen, wie ich sie beobachte. Da lacht er. Er stupst sie in die Rippen und zeigt auf mich, und beide fangen an zu lachen. »Ich habe jetzt keine Zeit, Ariel«, sagt meine Mutter. »Die Welt dreht sich nicht nur um dich, verstehst du?«
Autos, denke ich. Fahren. Von Faversham nach London fahren. Komm schon. Ich bin aus dem Priorat geflohen, vor den Männern vom Project Starlight. Und dann sehe/fühle ich es. Ich sitze in meinem Auto, und ich schweife in Gedanken in die Angst ab. In dem Bild im Zugfenster sehe ich die Männer in ihrem schwarzen Wagen hinter mir herrasen, auf der fast leeren Autobahn unter grauem Himmel, während links und rechts der Schnee auf Feldern, Dächern und den Seitenstreifen liegt. Ich kann sie hinter mir sehen, und ich weiß, das ist das Ende. In einem Film würde ich sie abschütteln. Aber sie werden mich von der Straße abdrängen, und kein noch so draufgängerisches Fahren und kein Geistesblitz werden mich retten. Mein Leben wird in einem zusammengequetschten Klumpen Metall enden, und mein Blut wird auf die Windschutzscheibe spritzen. Ich will dort nicht hin, an diesen Ort, aber ich muss. Ich muss von diesem Ort hier zu jenem dort. Mein Bewusstsein ist an jenem Punkt offen, das weiß ich instinktiv. Und die Männer sind in Wirklichkeit nicht dort: Das ist nur die Angst.
Zumindest hoffe ich, dass es nur die Angst ist.
Wie steige ich aus? Da ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, gehe ich auf die Tür zu.
Das Bild auf den Fenstern ist immer noch dasselbe. Ich konzentriere mich darauf, und dann drücke ich den Knopf, um die Tür zu öffnen. Der Zug fährt immer noch weiter, aber die Tür geht auf und …
Es ist kurz nach sechs Uhr morgens auf der A2, und da ist ein Schild Richtung London. Da will ich aber nicht hin. Oder vielleicht doch? Nein. Ich muss auf den M25 und dann auf eine Straße nach Torquay, wo auch immer das sein mag. Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel: immer noch kein schwarzer Wagen. Da kommt noch ein Schild, das auf die verschiedenen Ausfahrten hinweist, falls man eine der diversen Medway-Städte besuchen möchte. Ich habe hier in der Gegend nicht lange genug gewohnt, dass mir einer der Namen irgendwas sagen würde. Außer … Einer von ihnen sagt mir doch was. Das ist die Stadt, in der Patrick lebt. Aber – ach Scheiße. Ich habe gerade ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich erinnere mich, schon mal hier gewesen zu sein und diese Ausfahrt genommen und Patrick dazu gebracht zu haben, dass er kommt und mich auf der Toilette für hundert Eier fickt.
Nur war es eben kein Déjà-vu-Erlebnis. Es ist passiert. Es ist passiert, und dann bin ich in Mollys Schule gegangen, und dann habe ich mich in der Troposphäre verirrt, und dann habe ich eine Zeitreise hierher zurück gemacht, in einem Zug voller Angst, und … So viel zum Thema Paradoxien. Ich fahre rechts ran auf den Seitenstreifen und hole mir eine Zigarette heraus. Ich sehe im Portemonnaie nach, ob ich noch
Weitere Kostenlose Bücher