Troposphere
hätte. Das hätte ich ihm sagen sollen. Ich weiß, dass er es genauso sehr will wie ich, aber er ist eben doch ein Feigling. Vielleicht hätte ich das sagen sollen. Robert, du bist ein Feigling. Vielleicht bin ich der Feigling. Ich könnte so etwas nicht zu ihm sagen. Stell dir sein Gesicht vor, wenn ich so etwas sagen würde. Er würde hinausstürmen. Er würde sagen, ich hätte die Grenze überschritten. Diese blöden Redewendungen. Was für eine Grenze? Wo? Oh, ja. Die Grenze, die du zwischen mir und allem, was ich sagen und sein will, gezogen hast. Die Grenze zwischen dem »normalen« Leben und dem anderen, der Alternative. Du hättest diese Grenze überschreiten können. Du hast versprochen, diese Grenze zu überschreiten. Mir hast du es versprochen. Mir hast du es versprochen. Mir hast du es versprochen. Und ich bin in den letzten Wochen so lieb zu dir gewesen, habe mit dir geredet, wenn du jemand brauchtest, der mit dir redet, habe dir die Tränen weggeküsst, wenn ich dir eigentlich den Schwanz lutschen wollte. Ich habe alles getan, was du wolltest.
Ich sehe ihn vor einer Stunde reinkommen, schon mit zehn Minuten Verspätung, als ob ich nichts Besseres zu tun hätte (aber das habe ich nicht, Robert: Das Einzige, was ich will, ist, in dich verliebt sein).
»Ich konnte nicht weg«, sagte er. »Die Kinder haben Theater gemacht.«
Seine Kinder. Sie stehen auf der anderen Seite einer völlig anderen Grenze. Aber ich habe lange genug so getan, als wäre ich an ihnen interessiert. Okay. Na ja, ein bisschen war ich interessiert. Ich hatte mir vorgestellt, irgendwann in der Zukunft mit ihnen, wenn Wiehießsiedochgleich drüber weggekommen wäre, das eine oder andere Wochenende zu verbringen. Ausflüge in den Park. Große Eisbecher. Es ergibt keinen Sinn, aber ich hätte mich entsprechend programmieren können. Das hätte ich für dich getan, Robert.
Der Tisch vor mir ist selbst schon fast ein kleines Kunstwerk. Wie würde man es nennen? Nach einem kleinen Verrat? Das gefällt mir. Der Bodensatz des Betrugs. Zwei Tassen, zwei Untertassen, ein Mann. Wenn du dir das anschaust, wüsstest du, dass vor einer Weile zwei Menschen hier waren, von denen einer gegangen ist. Einer hat eine Verabredung, eine Vereinbarung, ein Leben. Der andere bin ich, und ich habe nichts in der Welt außer dieser Kaffeetasse. Vielleicht hast du ihn sogar gehen sehen, den Mann mit dem schütteren Haar und der schwarzen Jeans. Vor einer Stunde kam er hier rein, und auf diesem Tisch war nichts außer dem rot-weiß karierten Plastiktischtuch, einer laminierten Speisekarte und einem Pfefferstreuer (aber kein Salz). Er brachte seine Entschuldigung vor und setzte sich, und ich konnte sehen, wie er zitterte.
»Kaffee?«, fragte ich. Und ich wollte ihm eine Ohrfeige geben, diesem zitternden Häufchen Elend. Ich wollte ihm sagen, dass er sich wie ein Mann benehmen solle. Falls ich für den Rest meines Lebens Mädchen ficken wollte, würde ich diese Sache hier nicht machen, oder?
Eine Kellnerin kam. Sie sprechen hier alle französisch, oder sie haben sich wenigstens einen überzeugenden französischen Akzent zugelegt, und deshalb sagt er: »Café au lait«, in einem schwachsinnigen englisch-französischen Akzent, und fügt anschließend »Merci« hinzu.
Was für ein Idiot. Und jetzt? Jetzt will ich ihm ins Gesicht pissen. Ich will ihn in meiner Scheiße ertränken. Ich will Fotos von ihm machen, wie er in meiner Scheiße ertrinkt, und sie seiner Freundin schicken. Ich will ein Konzert nur über ihn schreiben, wie er in meiner Scheiße ertrinkt, und es bei seinem Begräbnis spielen, es über Lautsprecher an seinem Grab ertönen lassen, sodass alle seine Verwandten es hören müssen.
Aber ich machte mir immer noch Hoffnungen, als er mich über den Tisch hinweg anschaute.
»Wie geht es dir?«, fragte er mich, als ob ich Krebs hätte.
(Du bist der Krebs, Robert, du elender kleiner Tumor. Du hast mir die Metastasen am Herz eingebracht.)
»Was glaubst du denn?«, sagte ich.
Ich nehme an, ich hätte sagen sollen: Prima. Toll. Mein Leben ist voll von rosa Luftballons.
Na ja, das ist attraktiver, nicht wahr?
Er steckte sich mit zitternden Händen eine Zigarette an. Ich habe ihm natürlich beigebracht zu rauchen. Ich habe ihm beigebracht zu rauchen, und ich habe ihm beigebracht, wie man trinkt, und ich habe ihm beigebracht, wie er mich ficken soll. Ich habe ihm gezeigt, was ich vermutet hatte: dass zwei Männer mächtiger sind als das ausgediente
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