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... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

Titel: ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor E. Frankl
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etwas durchaus Relatives ist, und hieraus ergibt sich weiter, daß auch ein an sich Geringfügiges die größte Freude bereiten kann. Wie war es doch beispielsweise, als wir von Auschwitz in eines der Dachauer Filiallager nach Bayern fuhren? Man hatte allgemein angenommen bzw. gefürchtet, der Transport ginge nach Mauthausen. Immer gespannter wurden wir, als sich der Zug jener Donaubrücke näherte, über die er, laut Angabe mitfahrender Kameraden mit jahrelanger Lagererfahrung, nach Mauthausen rollen mußte, sobald er von der Hauptstrecke abgezweigt wäre. Unvorstellbar für den, der so etwas oder etwas Analoges noch nicht selber erlebt hat, war der buchstäbliche Freudentanz, den die Häftlinge im Gefangenenwaggon aufführten, als sie merkten, der Transport gehe – »nur« nach Dachau.
    Und wie war es, als wir im Dachauer Filiallager ankamen? Nach einer Fahrt von zwei Tagen und drei Nächten! Und zum Hocken auf dem Boden des kleinen Gefangenenwaggons war, wie schon einmal erwähnt, nicht für alle Platz; der Großteil mußte die lange Reise vielmehr stehend verbringen, und nur wenige konnten, im Turnus abwechselnd, auf dem spärlichen Stroh kauern, das von menschlichem Harn naß war. So waren wir gewiß übermüdet, als wir ankamen. Die erste wichtige Information seitens älterer Lagerinsassen ging jedoch dahin, daß es in diesem verhältnismäßig kleinen Lager (die höchste erreichte Belagzahl war 2500 Mann) keinen »Ofen« gab, das heißt: dort gab es kein Krematorium, also auch keine Gaskammern. Und dies bedeutete, daß einer, der zum »Muselman« geworden war, nicht schnurstracks ins Gas gebracht werden konnte, sondern erst, wenn ein sogenannter Krankentransport nach Auschwitz zusammengestellt wurde. Jene Lebensgefahr wenigstens, die aus dieser Richtung drohte, war somit eine weniger unmittelbare. Unsere freudige Überraschung darüber, daß es uns also vergönnt war zu erreichen, was unser Blockältester in Auschwitz uns gewünscht hatte – er empfahl uns, nur ja schleunigst in ein Lager zu kommen, in dem es nicht (wie in Auschwitz) einen »Kamin« gab -, diese freudige Überraschung machte uns froh gelaunt. Ja, diese frohe Laune ließ uns lachen und Späße machen trotz allem, was wir in den nächsten Stunden noch mitmachen mußten: Beim wiederholten Abzählen der mit unserem Transport neu angekommenen Häftlinge fehlte einer. Wir mußten nun so lange im Regen und kalten Wind auf dem Appellplatz stehen, bis dieser Mann gefunden war. Er wurde schließlich in einer Baracke aufgestöbert, in der er vor Erschöpfung in tiefen Schlaf gesunken war. Daraufhin wurde aus dem langwierigen Zählappell – ein Strafappell: die ganze Nacht, bis in den nächsten Vormittag, mußten wir – nach den Strapazen der geschilderten langen und beschwerlichen Fahrt! – durchnäßt und durchfroren auf dem Appellplatz stehen bleiben. Und trotzdem – wir alle waren nichts als freudigst erregt! Es gab im Lager eben keinen »Kamin«, und Auschwitz war weit...

Zuchthäusler werden beneidet
     
    Oder wie war es, wenn wir an der Arbeitsstätte eine Gruppe von Zuchthäuslern vorübergehen sahen? Wie offenbarte sich da die Relativität jeder leidvollen Situation! Wie beneideten wir doch diese Zuchthäusler um ihr relativ geregeltes, relativ gesichertes, relativ hygienisches Leben! Die hatten sicher ihre regelmäßige Badegelegenheit, so dachten wir voll Wehmut; die hatten sicher ihre Zahnbürsten, ihre Kleiderbürsten, ihre Pritschen – jeder eine für sich – und ihren monatlichen Postempfang, ihr Wissen darum, wo ihre Angehörigen sind, ja, daß sie überhaupt am Leben sind. Wir aber hatten dies alles schon längst nicht mehr.
    Oder wie beneideten wir selbst jene unter uns, denen sich die große Chance bot, in irgend eine Fabrik zu kommen, wo sie in geschlossenen Räumen arbeiten konnten! Wie erhoffte doch jeder von uns für sich selber eine solche lebensrettende Chance!
    Aber die Stufenleiter des relativen Glücks geht weiter. Auch unter uns, die wir zur Arbeit auf Außenkommandos gehen mußten, konnte der eine, in ein schlechteres Kommando eingeteilt, den andern beneiden, weil der eben nicht das Unglück hatte, im tiefen Lehmboden watend, auf einem steilen Abhang, 12 Stunden im Tag die Kipper einer Feldbahn entleeren zu müssen. Auf diesem Kommando gab es die meisten, gab es tägliche und oft tödliche Unfälle. Auf andern ungünstigen Kommandos war es wieder die anscheinend lokale Prügeltradition scharfer Aufseher, die einen

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